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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest
Autoren: Saša Stanišic
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aß fünf Tage Linseneintopf und trank fünf Tage. Die Raketen und die Raketentechnik interessierten den General nicht. Ihn interessierte der Boden. Er ließ eine Grube graben, einen Meter tief, roch an der Erde, kletterte zufrieden heraus und befahl, einen Gemüsegarten anzupflanzen. Paprika, er befahl Paprika. Genosse Trunov interessierte die Kultur. Er verlangte Kultur jeden Abend. Die Radar-Combo II spielte zum Tanz auf. Trunov brachte den Musikern ein Lied aus Usbekistan bei. Der Personalbestand tanzte erst verlegen, dann ausgelassen. Der Adjutant spielte ein Solo-Stück auf dem Kontrabass. Der General sang. Der General tanzte mit Schramm, flüsterte Schramm ins Ohr, Trunov sei gar nicht sein echter Name, und die einzige Angst, die er im Leben habe, sei die Angst vor jenen, die sich zu Richtern erheben über Namen. Er schlief in seinen Stiefeln, und der Jude rasierte ihn, während er träumte. Die FRA -123 Wegnitz kannte keine Nüchternheit mehr. Die fünfte Nacht war warm. Die diensthabende Gefechtsbesatzung zog sich aus. Es wurde auf den Startrampen getanzt. Der Batteriechef, der Ladekanonier und einige Artilleristen wollten losfeuern auf irgendwas, ganz egal was, aber Schramm trat dazwischen, und Trunov ohrfeigte jeden Einzelnen und erzählte dann, wie er einmal mit seinem Hengst All Meine Gebete den großen, kaltblütigen Tian Shan erklommen hatte, ohne abzusteigen. Er fragte die Raketen: »Chab ichh euch dafürr gebrraucht?«, und die Raketen winselten: »Nein«, und er fragte die Soldaten, welchen Wert ihr Leben habe, aber keiner wusste eine Antwort zu geben.In der Morgendämmerung wurde General Trunov gesehen, wie er mit zwei jungen Bäuerinnen einen Trecker bestieg und Richtung Osten fuhr, der Jude im Anhänger mit einer Schreibmaschine im Schoß, in die er alle Sätze hämmerte, die Trunov je gesprochen hatte, auch die aus seinen Träumen.
    Herr Schramm tritt drei Schritte zurück und erschießt den Zigarettenautomaten.

JOHANN KNALLT DIE TÜR ZU. Hat es zu Hause nicht ausgehalten, Mu guckt wieder ihre Serie, und als er meinte, um Mitternacht muss er raus, Glocken läuten, ist sie ein bisschen ausgetickt.
    Kalt geworden. Heute noch in der Sonne am See gechillt, jetzt Wintereinbruch. Vielleicht sollte er den Meister abholen? Der kommt ständig zu spät. Wär schon irgendwie gut, das mitternächtliche Festläuten um Mitternacht zu erledigen.
    Johann setzt die Kopfhörer auf ( The Streets ),läuft an der alten Schmiede vorbei. Die hat mal seinen Vorfahren gehört (weiß er von Mu, und die muss als Boss von Dorfgeschichte so was ja wissen). Passender Sound dazu, der Song jetzt. Geht um Vorfahren. Wie krass unwahrscheinlich das ist, dass seit Jahrhunderten immer welche überlebt haben, Leben gezeugt haben, und jetzt ist man selber dieses Leben. Johann Schwermuth, 16, Jungfrau (arbeitet daran, das zu ändern), Azubi (Kaufmann im Einzelhandel, noch ein Jahr, dann Niedriglohnbeschäftigung), Fantasy-Rollenspiel, Glocken, Hip-Hop.
    Vor der Kirche bleibt er stehen, überlegt, gleich hochzugehen, ein bisschen aufs Dorf gucken. Geil sind nicht die paar Lichter in der Landschaft, sondern die Dunkelheiten dazwischen: der Kiecker, die Felder. Am besten, wie die Promenade und das Fährhaus so ein bisschen erleuchtet sind, und wie dann sehr lange nichts kommt, und dann wieder die paar Lichter von Weißenhagen und Milbrandshagen. Das Schwarz dazwischen sind die Seen. Zwei Löcher in der Welt (bedrohlich, ist klar).
    Der Typ war krass, der Fährmann. Irgendwie fertig. Voll die Matte, Terroristenbart, Fingernägel und so. Aber er war nicht wirklich fertig, jedenfalls nicht so wie ein paar andere Kunden hier. Wenn er was gesagt hat, dann hast du entweder was verstanden, was dir vorher nicht klar war, oder du hast nicht mal das Thema verstanden. Lada sagt, so einer hätte in der Stadt unter der Brücke gepennt. Hier gibt’s halt keine Brücke. Die Leute haben den gemocht und hatten gleichzeitig Angst. Die Fahrgäste vor allem. Irgendwie gehörte er nicht so hierher. Jetzt nicht nicht ins Dorf, sondern nicht in die Zeit. Mittelalter hätte eher zu ihm gepasst, schön mit Lederrüstung, Schwert oder gleich Magie, so was.
    Jedenfalls.
    Wie seine Vorfahren wohl drauf waren? Das macht bestimmt der Song, dass er darüber nachdenken muss. Worüber die geredet haben und was für Klamotten sie anhatten, wenn sie im soundsovielten Jahrhundert hier in die Kirche sind. Die Bilder dazu hat er vom Rollenspiel.
    Johann hat mal gelesen,
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