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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest
Autoren: Saša Stanišic
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dritten sagen: Der Fährmann ist tot, es lebe der Bootsverleih.
    Der Fährmann ist tot, und niemand weiß, warum.
    Wir sind traurig. Wir haben keinen Fährmann mehr. Und die Seen sind wieder wild und dunkel und schauen sich um.

DIE TANKSTELLE HAT DICHTGEMACHT , zum Tanken musst du nach Woldegk. Im Schnitt fährt das Dorf seitdem weniger im Kreis durch das Dorf und mehr geradeaus nach Woldegk, Fontane rezitierend, die, die Fontane auswendig kennen. Im Schnitt vermisst eher Jung die Tankstelle als Alt. Nicht nur wegen Benzin. Wegen KitKat und Bier auf die Hand und Unforgiving , Geschmacksrichtung Orange Inferno ,dem Energy-Drink, der die ostdeutschen Tankstellen im Sturm erobert mit 32 mg Koffein pro 100 ml.
    Lada, den man Lada nennt, weil er als Dreizehnjähriger mit dem Lada von seinem Großvater nach Dänemark gefahren ist, hat heute zum dritten Mal binnen drei Monaten seinen Golf im Tiefen See geparkt. Hat das was mit der fehlenden Tankstelle zu tun? Nein. Das hat was mit Lada zu tun. Und mit dem Uferweg, der sich hier prima für 200 km/h eignet theoretisch.
    Der See hat geblubbert. Johann und der stumme Suzi haben es am Ufer erst lustig, dann nicht mehr lustig gefunden. Eine Minute ist vergangen. Johann hat sein Stirnband ausgezogen und ist rein, und er ist der schlechteste Schwimmer von den dreien. Der jüngste auch. Junge unter Männern. Umsonst. Lada ist von alleine aufgetaucht. Die Kippe noch zwischen den Lippen. Musste Johann ein bisschen mitretten.
    Fürstenfelde. Einwohnerzahl: ungerade. Unsere Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Der Sommer hat die Nase klar vorn. Unser Sommer fällt kaum schlechter aus als am Mittelmeer. Statt Mittelmeer haben wir die Seen. Der Frühling ist nichts für Allergiker und nichts für Frau Schwermuth vom Haus der Heimat, die wird im Frühling depressiv. Der Herbst ist zweigeteilt in frühen Herbst und späten Herbst. Im späten Herbst hat sich der Landmaschinentourismus etabliert. Stadtväter bringen ihre Söhne zum Landmaschinengucken in der Nacht. Söhne: begeisterte Schockstarre vor riesen Rädern und Reflektoren und Rabatz. Die Geschichte des Winters in einem Dorf mit zwei Seen ist immer eine Geschichte, die anfängt, wenn die Seen gefrieren, und aufhört, wenn das Eis taut.
    »Was machst du jetzt mit der Karre?«, hat Johann Lada gefragt, und Lada, der in puncto Autos-aus-dem-See-Holen und Wieder-zum-ordnungsgemäßen-Laufen-Bringen kein Anfänger ist, sagte: »Hol ich die Tage.«
    Der stumme Suzi warf die Angel wieder aus. Wegen Ladas Missgeschick hatte er kurz pausiert. Suzi angelt für sein Leben gern. Bist du stumm geboren, bist du fürs Angeln irgendwie auch prädestiniert. Wobei, was heißt schon stumm? Politisch korrekt wäre: Kehlkopf kaputt.
    Johann klopfte sachte einen Rhythmus auf seinen Oberschenkel. Morgen hat er seine Glöckner-Prüfung. Er hat eine kleine Melodie extra für das Fest komponiert und wird sie mit den Klöppeln schlagen. Beiern nennt sich das. Lada und Suzi wissen davon nichts. Ist besser so, sonst gibt es wieder blöde Sprüche.
    Die drei zogen sich bis auf die Unterhosen aus. Johann und Lada, damit die Sachen trockneten, Suzi aus Solidarität. Ladas einwandfreie Muskulatur, Suzis einwandfreie Muskulatur. Johanns Rippen. Suzi kämmt das Haar nach hinten, immer einen Kamm dabei, eine vom Aussterben bedrohte Geste. Schwanz eines Drachens auf der Stirn, der mächtige Drachenleib um Suzis Nacken, der feuerspeiende Drachenkopf am Schulterblatt. Suzi, schön wie italienische Filme der Fünfziger. Suzis Mutter schaut sich die immer an und flennt.
    Grashüpfer. Schwalben. Wespen. Alle sehr müde, sehr.
    Der Herbst ist ja schon da.
    Heute, das war der letzte warme Tag dieses Jahr. Der letzte Tag, an dem du gut in Unterhose im Gras liegen konntest, und Käfer klettern auf dir herum, als wärst du ein natürliches Hindernis in der Endmoränenlandschaft, was du ja irgendwie auch bist. Kommst du von hier, weißt du so was: der letzte warme Tag. Nicht wegen der Schwalben oder wegen der Wetter-App. Du weißt das, weil du dich ausgezogen hast und dich hingelegt hast und,falls du ein Mädchen bist, die Zehen in den Sand gesteckt hast. Falls du kein Mädchen bist, hast du nichts mit den Zehen gemacht, sondern dich einfach nur hingelegt.Und so liegend hast du in den Himmel geguckt, und es war ganz klar: Heute – der letzte warme Tag. Sollte durch ein Wunder doch noch einer kommen, das würde nichts bedeuten. Heute war der letzte.
    Lada und
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