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VT01 - Eine Wunde in der Erde

VT01 - Eine Wunde in der Erde

Titel: VT01 - Eine Wunde in der Erde
Autoren: Michael M. Thurner
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Die Übung wollte einfach nicht gelingen. Einerseits musste Kinga verzweifelt nach Halt suchen, andererseits schossen ihm die wichtigsten angelernten Regeln kreuz und quer durch den Kopf und fanden einfach nicht zu einem sinnvollen Ganzen.
    Ruhig atmen, mahnte er sich. Die Kreuzzügel fester nehmen, über die Vorderzügel entspannen. Der Erstwoorm war ein tumbes altes Tier, das jederzeit seine Pflicht tun würde. Der Zweitwoorm, aufsässig und stur, bedurfte da schon mehr Hingabe. Und dem Drittwoorm musste er mit aller Kraft zeigen, wer hier der Herr war.
    »Achte auf links!«, warnte Nabuu. Sein Freund lehnte am Zaun des Trainingsstalls und beobachtete den Zuritt der drei Tiere. Von dort aus hatte er eine weitaus bessere Übersicht als vom Rücken des Drittwoorms. Gonho, der Zureiter, stand neben ihm und sagte nichts, wie so oft.
    Kinga duckte sich nach rechts weg, wich dem über seinen Kopf hinweg peitschenden Körperende des Reittiers aus. Es ließ sich kaum noch bändigen, seitdem er auf dem Standsattel umherruderte und nicht mehr dazu kam, die notwendigen Seitentritte anzubringen.
    »Lass los!«, forderte Zhulu lautstark, »spring ab, bring dich in Sicherheit!«
    War es denn tatsächlich so schlimm? Hatte er endgültig die Kontrolle verloren? Unmöglich! , sagte sich Kinga. Bis jetzt hab ich’s noch immer geschafft…
    Die grobhölzerne Barackenwand kam näher. Der Drittwoorm war ausgeschert, hatte die gerade Linie der beiden vor ihm durch die Erde pflügenden Artgenossen verlassen, steuerte auf die seitlichen Begrenzungen zu. Er war außer sich, schien keinen Schmerz mehr zu kennen, wollte bloß noch seinen Reiter loswerden.
    Kinga verkeilte die Füße mit aller Kraft in den Seitenlaschen des Stehsattels und fand endlich wieder zu einem halbwegs vernünftigen Halt. Mühselig zog er sich an den Kreuzzügeln nach vorne, bis er die Haltebegrenzung erreicht hatte, zupacken und seine schmerzenden Armmuskeln für ein paar Momente entspannen konnte.
    Der Drittwoorm tat einen Luftsprung, mehrere Meter hoch. So, als gäbe es keine Schwerkraft. So, als wollte er seinen eigenen massigen Körper zusammenbrechen lassen, die Stabrippenreihen in seinem Inneren zerdrücken, sich selbst von den Qualen dieses wilden Wühlritts durch die Erde des Übungsstalls befreien.
    Lass es bleiben!, wisperte ihm nun auch die eigene Stimme der Vernunft zu. Du hast keine Chance, das Tier ist völlig entfesselt. Es wird keine Ruhe mehr geben, bis es sich von dir befreit hat.
    Kinga schüttelte den Kopf, biss die Zähne zusammen, fokussierte all seine Kraft auf die Kreuzzügel. Er konnte es schaffen. Ein paar Sekunden Ruhe würden reichen. Wenige Augenblicke, um Sattelgestell und Zaumzeug zu justieren. Dann würde er den Drittwoorm wieder unter Kontrolle bekommen.
    Ein neuerlicher Bockssprung. So unerwartet, dass es Kinga die Luft aus den Lungen drückte, ihn zur Seite wirbelte und gegen die Barackenwand schleuderte.
    Irgendetwas knackste. Ein mörderischer Schmerz durchfuhr seine Brust.
    Er fühlte… Erstaunen.
    Darüber, dass er es nicht geschafft hatte, den Maelwoorm zu bändigen. Der Ritt und die Vorbereitung auf die Prüfung waren ihm plötzlich egal. Er wollte bloß noch, dass die Qual endete.
    Ein schmerzvoller Ruck zog ihn vorwärts, zurück auf den Drittwoorm. Sein rechtes Armgelenk hatte sich im Gewirr der sechs Zügel verfangen. Er wurde von dem Ungetüm mitgeschleift, von ihm hin und her geschleudert, in die tiefen Furchen des Erdwerks hinab gezogen, vom Leib des Woorms begraben.
    Irgendwann gab auch sein gepeinigter Geist nach. Kinga glitt in eine Ohnmacht, aus der er, so hoffte er, niemals mehr erwachen würde.
    ***
    »Du bist der größte Idiot, der mir jemals untergekommen ist.«
    »Es freut mich, deine Stimme zu hören, Nabuu«, sagte Kinga heiser. Er wollte sich aufrichten. Es ging nicht. Er war in ein Korsett aus Holzsprossen und gebranntem Lehm gepresst, konnte sich keine Handbreit bewegen. »Wie sehe ich aus?«, fragte er den Freund, dessen Umrisse er nur schemenhaft gegen das grelle Licht, das durch den Türeinstieg fiel, wahrnehmen konnte.
    »Wie ausgespuckt und drauf getreten«, antwortete Nabuu. »Ich kann’s immer noch nicht glauben, dass du diesen Ritt überlebt hast.«
    »Kleinigkeit.« Kinga musste husten. Sein Hals kratzte fürchterlich. Er fühlte den Geschmack von Blut. »Wie geht’s dem Drittwoorm?«
    Allmählich konnte er die Gesichtszüge Nabuus erkennen. Seine Stirn war gekräuselt, wie so oft. Er wirkte
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