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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden
Autoren: Peter Henisch
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Gatte von seiner Verehrung für Longfellow erzählt.
    Falls Ihr mich fragt, woher ich diese Geschichten habe/ Falls Ihr mich fragt, woher ich diese Legenden & Überlieferungen nehme/ Mit dem Duft der Wälder und dem Tau & Dunst der Wiesen/ Mit dem Rauch der Wigwams & dem Vorbeirauschen der großen Flüsse … Was soll ich Euch darauf antworten, und was kann ich Euch sagen/ Außer, daß sie eben aus den Wäldern & Prärien kommen …
    Der zweite Satz der Symphonie ist ein subtiles Largo in Des-Dur. Er soll durch Longfellows Indianerepos H IAWATHA inspiriert worden sein.
    Auch Buffalo liegt auf dem Mayschen Reiseweg. Nichtwahr, dort wollten wir doch das Grab des berühmten Seneca-Häuptlings Sa-go-ye-wa-tha besuchen? Ein schöner Name. Zu deutsch etwa Er-hält-sie-wach. Ein großer Mann, wird erzählt. Ein indianischer Prophet. – Wenn ich einst tot bin und meine Warnungen nicht mehr gehört werden/ wird die Gerissenheit und Habgier des Weißen Mannes zunehmen/ Mein Herz stockt, wenn ich an mein armes Volk denke/ so bald schon in alle Winde zerstreut und vergessen.
    Der sicherste Tip aber ist das C LIFTON -H OUSE . Das beste Hotel an den Niagarafällen. Kanadische Seite. Gleich an der Hängebrücke. Dort, sagt das Herzle, und darauf freut sie sich schon besonders, werden wir, das hat mein Mann mir versprochen, eine ganze Woche den geradezu unvergleichlichen Blick auf die stürzenden Wassermassen genießen.
    Die besten Zimmer liegen in der ersten Etage, den Fällen zugewandt. Sie münden alle auf eine lange, vielleicht acht Schritte breite Plattform, die ein gemeinschaftliches Säulendach überragt. Wer vom Korridor aus seinen Raum betritt, ihn quer durchschreitet und sich durch die gegenüberliegende Tür hinaus auf die Plattform begibt, der hat beide Fälle, den geraden und den hufeisenförmigen, besonders eindrucksvoll vor Augen. Der Herr Franz hat natürlich keine Ahnung, wie er sich das C LIFTON -H OUSE leisten soll, aber es wäre zweckdienlich, wenn er ein Zimmer neben den Mays bekäme.
    Nein, nicht etwa, um der Frau Klara einen nächtlichen Besuch abzustatten. Was immerhin möglich wäre: Mr. & Mrs. Burton bewohnen dort ein Appartement mit durch Toilette- und Garderoberäume getrennten Schlafzimmern. Doch nach so etwas steht dem Herrn Franz nicht der Sinn. Au contraire wäre es ihm lieber, May allein anzutreffen. Zu einer Stunde, zu der Frau Klara schon schliefe. Während ihr Mann hinaus auf den freien Altan träte. In philosophischer oder poetischer Laune. In der rechten Hand einen Bleistift, in der linken sein Notizbuch. Also: Da träte auch Kafka aus seinem Zimmer. Mit Heft (Oktav oder Quart) und Bleistift bewaffnet. Zufälle gibt es! Wie das Leben so spielt! Ja, und der Mond wäre inzwischen auch wieder im Zunehmen.
    Ich habe gedacht, würde May sagen, Sie geben das Schreiben auf. Ich auch, würde Kafka sagen, aber dank Ihrer Anregung … Ach ja? würde May sagen, das hört man gern. So ließe sichs höchstwahrscheinlich leichter reden. Angesichts der gewaltigen Wasserfälle. Vielleicht nicht akustisch, aber im Bewußtsein der Relationen. Ihr Brausen, die Stimme eines ewigen Gesetzes. Eins der gewaltigsten Gleichnisse, die Manitou uns offenbart.
    Ja eben, Herr May, da bin ich ganz Ihrer Meinung. Diese Größe und unsere Kleinigkeiten! Und May würde ihm eine verzeihende Hand entgegenstrecken. Und am nächsten Morgen könnte man vielleicht noch gemeinsam mit ihm und seiner Frau frühstücken.
    Nur leider kommt dieses Happy-End nicht zustande. Das Nachbarzimmer der Mays ist seit Tagen besetzt. Und zwar von zwei Herren aus den Vereinigten Staaten. Die akkurat auf den Writer aus Germany warten. Sie nennen sich Hariman & Sebulon Enters. Tatsächlich, das würde Kafka auffallen, haben sie eine gewisse Ähnlichkeit mit den Herren Robinson & Delamarche. Nur sind sie besser (zumindest teurer) gekleidet. Aber das liegt bloß daran, daß sie mehr Geld haben.
    Der Zimmerkellner kann sie trotzdem nicht leiden. Sie wohnen genaugenommen nur halb im Hause. Schlafen nur hier, ernähren sich anderswo. Gehen früh fort und kommen erst abends wieder. Woran sie auch besser tun. Sie passen nicht her. Findet der Kellner. Unser C LIFTON -H OUSE ist ein Hotel ersten Ranges. Wer diesem Rang nicht angehört, mag zwar (sofern er es bezahlen kann) hier schlafen. Aber hier zu speisen und mit den anderen Gästen zu verkehren wird ihm schwerfallen.
    So also ist das! Derart fragwürdige Gäste okkupieren Kafkas Zimmer! Aber was wollen die
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