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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden
Autoren: Peter Henisch
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beiden eigentlich von May? Sie wollen (das sieht ihnen ähnlich) mit ihm ein Geschäft machen. Und zwar ein Lizenzgeschäft. Ausgerechnet seinen W INNETOU wollen sie ihm abkaufen.
    Sieh einer an! – Den Verlagsnamen, den sie ihm nennen, hat der Autor noch nie gehört. – Kein Wunder. E NTERS & E NTERS haben bislang in anderen Branchen gearbeitet. Im Viehgroßhandel und Schlächtereibetrieb. Aber jetzt, da sie damit genug Geld gemacht haben, wollen sie umsatteln.
    Natürlich wird May dieses windige Angebot ausschlagen. Denn er hat inzwischen längst durchschaut, was die Brüder Enters im Schilde führen. Den W INNETOU wollen Sie kaufen? Band I bis III? Um ihn ins Amerikanische übersetzen und hier erscheinen zu lassen oder um ihn, geben Sies zu, noch bevor ihn auch nur ein einziger amerikanischer Leser in die Hand bekommen hat, ganz einfach zu verramschen?!
    Ja, so seht ihr aus! Oder möglicherweise noch schlimmer –: Hariman & Sebulon haben ein verdächtiges Interesse an einem dunklen oder auch finsteren Wasser, dessen genaue Lage sie von May, der darüber geschrieben hat, erfahren wollen. Haben sie etwa die Absicht, die Bände VII bis IX der gesammelten Werke in diesem Vergessenheitsgewässer zu versenken? Wofür sie Motive hätten? – Kafka kann das später in Winnetou IV nachlesen.
    Jedenfalls wird May, mit solchen Problemen beschäftigt, in Niagara Falls kaum einen Kopf für den Herrn Franz haben. Da hat es auch kaum einen Sinn, wenn er sich im P ROSPECT -H OUSE einquartiert, wo die Nächtigung, nebenbei bemerkt, nur unerheblich billiger sein dürfte als bei Cliftons. Womöglich täte er besser daran, zwei Wochen in New York Teller zu waschen. Und dann gleich von da nach Trinidad/Colorado vorauszufahren. Dort soll er ganz einfach nach Max Pappermanns Hotel fragen.
    Dieser
Paperman
, wie er sich jetzt nennt, ist ursprünglich Deutscher. Na also, da kann man wenigstens mit ihm reden. In seinem gemütlichen Hotel gibt es weder Cockroaches noch Cucarachas. In diesem Hotel gibt es schlimmstenfalls Schwabenkäfer.
    Dort läßts sich gegebenenfalls ein paar Tage warten. Nämlich bis Mr. & Mrs. Burton kommen. May & Klara. Oder Old Shatterhand & seine Frau? Früher hat er die nie mit in den Westen genommen!
    Pappermann schüttelt den Kopf. Was hat das zu bedeuten? Als sein alter Freund aus dem Zug steigt, sieht er jedenfalls noch ganz so aus wie ein sächsischer Schriftsteller. Aber Geduld, immerhin hat er den zerlegten H ENRYSTUTZEN im Koffer. Obwohl dieses berühmte Gewehr natürlich auch nicht mehr so einmalig ist, wie es einmal war.
    Was er sonst noch im Koffer hat? – Nun, zum Beispiel einen indianischen Beratungsrock. Sowie einen Häuptlingsschmuck aus den Federn des Kriegsadlers. Da hat man ihn eben noch für einen komischen Kauz gehalten. Doch kaum hat er das Zeug an, macht er einen entschieden anderen Eindruck.
    Es gilt eine Wette. Man glaubt nicht, daß er reiten kann. Ein paar als Künstler getarnte Pferdediebe erwarten sich einen Spaß davon, ihn hoch zu Roß zu porträtieren. Er macht den Spaß vorerst mit. Tut, als wäre er noch nie auf dem Rücken eines Pferdes gesessen. Aber dann, als es darum geht, nacheinander auf drei Maultieren und ebensovielen Pferden über die Gartenmauer des Pappermannschen Hotels zu setzen, erweist er sich selbstverständlich als alter Meister.
    Die Maultiere, immerhin aus bester mexikanischer Zucht, bewältigt er noch sozusagen in Zivil. Die Pferde allerdings, raffinierteste indianische Kreuzungen, verlangen eine andere Behandlung. Die lassen ein blödes Bleichgesicht gar nicht erst aufsteigen. Da ist der Zeitpunkt gekommen, zu dem sich Herr May zur Kenntlichkeit verkleidet.
    Dann schreitet er langsam auf die Tiere zu. Sie schielen nach ihm, noch ohne sich zu bewegen. Ihre rötlichen Nüstern blähen sich, ihre kleinen Ohren beginnen zu spielen. Ihre langen, prächtigen Schwänze beginnen zu schlagen. Und dann, meine Herrschaften, wird geritten werden! Zwar nicht gleich so, daß die Steigbügel, der Sattel, das Pferd und die Gegend rundum verschwinden, aber durchaus beeindruckend. Eins, zwei und drei – die Pferde
fliegen
förmlich über die Mauer. Applaus der inzwischen zusammengelaufenen Bevölkerung. Diese Show sollte sich Kafka nicht entgehen lassen.
    Das heißt, falls sie wirklich stattfindet – es gibt Zweifel. Kann sein, daß der Hauptdarsteller gar nicht erscheint. Kann sein, daß er doch nicht mehr so ganz für den Westen disponiert ist. Und sich von Niagara Falls
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