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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden
Autoren: Peter Henisch
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ihm der den Auftritt seiner spirituellen Indianer verpatzt hat. Nein: Er kann nun einmal die Übertreibung gewisser persönlicher Probleme nicht leiden.
    Dieser komische, hypersensible Herr Franz! Also wenn ich mir diesen komischen, hypersensiblen Herrn Franz ansehe … Hörst du mich, Herzle? … Und wenn ich mir
mich
daneben vorstelle,
mich
in
seinem
Alter … Dann kann ich nur sagen, daß es ihm unverschämt gut geht.
    Na, weil es wahr ist! Sag doch selbst, ob ich recht habe! Jetzt liegt er in deinem Schoß und träumt von werweißwas …
Mußt
du ihn eigentlich streicheln? Findest du nicht, daß du das Bemuttern etwas zu weit treibst? Seine Probleme hätte ich haben mögen!
    Ich lösch vielleicht besser das Licht aus.
Was
sagst du? Sein Vater? … Ja, was hat er denn von diesem Vater erwartet, soll der Herr Galanteriewarenhändler, oder was er ist, in Jubel ausbrechen, wenn sich sein Sohn in den Kopf gesetzt hat, Schriftsteller zu werden? … Gewiß, dieser Herr hat seine schwierigen Seiten … Doch eins kann ich euch sagen: Meinen eigenen Vater hätte ich gern gegen diesen Vater getauscht.
    Aber mit Handkuß! Ihr habt doch gar keine Ahnung! …
Mein
Alter hat den dreifach geflochtenen Strick neben dem Webstuhl hängen gehabt … Und hinter dem Ofen, da stand der birkene Hans. Den hat der Herr Heinrich May vor Gebrauch noch im Ofentopf eingeweicht, um ihn elastischer zu machen.
    Ich will nur dein Bestes, hat auch er gesagt. Nur war er entschlossen, mirs striemenweis einzubläuen. Und daß er für
mich
was Besseres gewollt hat als für
sich
, also eigentlich kann ich ihm das nicht einmal vorwerfen. So wie es früher war, gings nicht mehr, vom Leinwandweben konnte man eine Familie auch beim allerbesten Willen nicht mehr ernähren, aber mit dir, hat er gesagt, wird das anders, dafür werde ich Sorge tragen.
    Nur weniger saufen hätt er halt sollen, der Alte …
    May und die Flasche. May trinkt. Der Doktor hats verboten.
    Was
sagst du, Klärchen? Ihm ist so, als hätte er etwas gehört.
    Aber anscheinend hat das nicht ihm gegolten.
    Ich prügel dich windelweich, hat mein Vater gesagt. Du wirst mir was lernen, Bub, und wenn ich dich totschlage. Wenn dus überlebst, wirst dus mir danken, wenn du dann kein Schüler mehr bist, sondern selbst Lehrer. Wenn du nicht nur Kartoffelschalen auf dem Tisch hast, sondern ganze Kartoffeln und vielleicht sogar sonntags einmal ein Stück Fleisch dazu.
    Schon wahr, er hat eine eher eigenartige Auffassung davon gehabt, wie man die höhere Bildung in den Kopf eines Menschen hineinbringt. Was ihm Gedrucktes in die Hände gefallen ist, habe ich abschreiben müssen, bis mir die Finger gekracht haben. Gebetbücher, Lexika, einen Anatomieatlas, eine sächsische Landeskunde aus dem Jahre 1830 … Und tatsächlich hab ich es weiter gebracht als alle Mays vor mir – hundertfünfzig Taler jährlich plus Logisgeld als Hilfslehrer: von so etwas hat mein Vater sein Lebtag nur träumen können.
    Doch dann sind ein paar ganz dumme Geschichten passiert …
    May trinkt.
    Naja, die Frau meines Quartiergebers hat mir halt gefallen … Sie war jung,
ich
war jung, ihr Mann war an die zwanzig Jahre älter als wir … So was kommt vor, ganz egal, was die öffentliche Moral zusammenheuchelt.
    Frau Klara seufzt.
    Jaja, das ist die Natur … Jedenfalls hat es keine vierzehn Tage gedauert, und ich war meinen Posten wieder los.
    Frau Klara seufzt, ihr Mann trinkt.
    Und nur auf Bewährung …
    May trinkt –
    … Und nur auf Bewährung hab ich eine andere Stelle bekommen.
    Fabrikslehrer. Ihr Leute von heute wißt ja gar nicht mehr, was das heißt. Eine Klasse von vierzig bis fünfzig Kindern und Halbwüchsigen, die nach zehn Stunden harter Arbeit noch lesen und schreiben lernen sollten. Auch rechnen, wenn auch nicht allzu viel, damit sie dem Fabriksbesitzer nichts nach- und schon gar nichts vorrechneten. Und die Zehn Gebote, damit sie sich ein Gewissen machten und nichts anstellten.
    Du sollst Vater & Mutter ehren, du sollst nicht töten, du sollst nicht
ehebrechen …
Du sollst nicht stehlen, du sollst nicht
begehren
, wie war das bloß … Nur in der Stube, die ich mit dem Betriebsbuchhalter teilen mußte, da ließ der seine alte Taschenuhr so verlockend an der Wand hängen … Naja, manchmal unterliegt man halt der Versuchung.
    May trinkt.
    Bub, hat mein Vater gesagt, du bringst Schande über uns. Noch nie ist keiner von uns vom rechten Weg abgekommen.
    Ich habe mich aber verirrt, in mir selbst verirrt. Mitten
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