Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden
Autoren: Peter Henisch
Vom Netzwerk:
hängen. – Ist es die Möglichkeit? Sind Sie es wirklich? – Nein, der junge Mann würde den älteren Herrn nicht erkennen.
    Aber die Möglichkeit, doch, die Möglichkeit ist es. Dieses Zusammentreffen der zwei (der drei). Man schreibt das Jahr 1908, und zwar den 6. September. D ER GROSSE K URFÜRST ist am Abend des 5. in Bremerhaven ausgelaufen und wird am frühen Morgen des 16. in New York sein.
    Kopf hoch, sagte der ältere Herr, als
er
zum ersten Mal über den großen Teich gefahren sei, da sei es ihm genauso ergangen.
    Die Dame warf einen überraschten Blick, sagte aber nichts.
    Wissen Sie, was Ihnen in dieser Verfassung guttun wird? Ein Gläschen Cognac!
    Danke, sehr freundlich, sagte der junge Mann, aber er trinke keinen Alkohol.
    Brav, sagte der ältere Herr, als
er
das erste Mal in die Staaten hinübergedampft sei, habe er auch noch nichts getrunken. Aber ein Zustand wie der, in dem sich der junge Mann offenbar befinde, rechtfertige eine Ausnahme. Da es ihm, wie erwähnt, damals, bei seiner ersten Überfahrt genauso ergangen sei, habe er diese Ausnahme übrigens auch gemacht. Kommen Sie, hoppla, nehmen Sie ruhig meinen Arm!
    Und schon hatte er den jungen Mann untergehakt und seiner Frau durch ein Zwinkern zu verstehen gegeben, daß sie auf ihrer Seite das gleiche tun sollte. Dem Zwischendeckinspektor, der dann am Aufgang, wo ihn wirklich keiner mehr brauchte, plötzlich im Weg stand, steckte er ein Bakschisch in die Brusttasche, das die Klassenschranken auf dem Schiff vorübergehend aufhob. Der junge Mann sträubte sich kurz, für einen Moment zappelten seine Beine frei in der Luft, obwohl er um einiges größer war als seine Wohltäter. Doch dann, als sei ihm die Energie des Widerstands gleich wieder ausgegangen, ließ er sich führen wie eine Gliederpuppe.
    Wie er, durch den Flurgang gekommen, in die Öffnung des Tors getreten war. Neobarock: Na Pořiči Nr. 7. Wie er gesehen hatte, daß es regnete, wie er gesehen hatte, daß es wenig regnete. Wie er den Koffer in der einen Hand gehalten hatte und den noch unaufgespannten Schirm in der anderen.
    Das Muster des Katzenkopfpflasters gleich vor ihm. Mehrere Wellen konzentrischer Halbkreise, die einander auf schwer durchschaubare Weise überlagerten. Darüber hineilend: Menschen in verschiedenartigem Schritt. In den Fugen: zwei Zigarettenstummel, eine Bureauklammer.
    Manchmal trat einer vor und durchquerte die Fahrbahn. Das Wort
durchquerte:
als ob die Fahrbahn ein Fluß wäre. Das Vorbeifließen der Bilder, die Versuchung, in diese Bilder hineinzufallen. Die Frage, ob man so eine Dienstreise besser mit dem linken oder mit dem rechten Fuß begann oder am besten gar nicht.
    Jetzt müssen wir Sie, sagte der ältere Herr, aber wohl oder übel loslassen. Tatsächlich: Zu dritt konnten sie unmöglich durch die Kabinentür. Treten Sie ein, bringen Sie Glück herein, aber heben Sie die Füße. Prompt stolperte der junge Mann. Aber die Schwellen auf diesem Schiff waren auch ungewöhnlich hoch! Dann stand er mitten im Raum, noch immer schwankend. Und die Dame wußte nicht recht, ob sie von seiner Seite weichen durfte oder sich, halb neben, halb hinter ihm, in Bereitschaft halten müßte, um ihn gegebenenfalls aufzufangen. Der ältere Herr klingelte nach dem Steward, den Cognac, den er dem Seekranken empfohlen hatte, konnte er nun selbst brauchen. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, den jungen Mann, der manchmal vergessen zu haben schien, wie man einen Fuß vor den anderen setzt, die vielen Treppen hinaufzuschleppen.
    Kabine 25, oberes Promenadendeck. Wohnraum, Schlafraum, Bad & Wasserklosett. Eigentlich gar nicht sein Stil, so ein Appartement. Sagte der ältere Herr. Aber auf seine alten Tage darf sich der Mensch schon was leisten.
    Als
er
allerdings so jung gewesen sei wie der junge Mann jetzt, da sei er noch, eine abenteuerliche Zukunft vor Augen, als blinder Passagier gereist. In einem Heringsfaß. Mein Gott, war das ein Geruch! Die Dame wirkte erneut etwas überrascht. Als er drüben in New York an Land gegangen sei, habe er seinen alten Anzug so rasch wie möglich loswerden müssen.
    Ob das der junge Mann gehört und entsprechend zur Kenntnis genommen hatte? Er schien, jedenfalls in seiner gegenwärtigen Verfassung, auch sonst wenig wahrzunehmen, was durchs Trommelfell in ihn hineinwollte. Zum Beispiel die Aufforderung, sich endlich zu setzen. Er blieb einfach stehen und starrte die Dame an.
    Starrte sie an auf eine Weise, wie sie, ehrlich gesagt, seit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher