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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden
Autoren: Peter Henisch
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Bilder schon früher gesehen. Wie er
sie jetzt sah
, mit geschlossenen Augen. Durch die Lücken zwischen den Vorübergehenden sah man die regelmäßig gefügten Steine der Fahrbahn. Warum konnte man nicht einfach stehen bleiben und die Welt an sich vorbeilaufen lassen wie einen Film im kinematographischen Theater?
    Sie sind also auch Deutscher?
    Wie?
    Sie sind also auch Deutscher.
    Die beiden Herrschaften, Burton wollten sie genannt werden, saßen nun links und rechts an den Betträndern.
    Mehr oder minder, antwortete der junge Mann vorsichtig, er lag in der Mitte.
    Woher?
    Ich komme, sagte er so leise, daß er vorerst gar nicht verstanden wurde, aus Prag.
    Wo
her?
    Aus Prag.
    Wie schön! Das goldene Prag!
    Frau Burton, ganz Wohlwollen, betrachtete den jungen Mann von rechts oben. Gut, daß sie ihn nicht von vorne betrachtete, seine Ohren wirkten aus dieser Perspektive nicht sehr vorteilhaft. Von links unten gesehen sah ihr Gesicht allerdings auch nicht gerade perfekt aus.
    Zu dick. Der junge Mann hingegen, wie er da lag, mußte sich genieren, weil er zu dünn war. Die Beine vor allem: So etwas Dünnes, Langes! Wie er befürchtet hatte, ragten sie weit über das Fußende des Bettes hinaus. Trotzdem sagte er: Mein Prag ist nicht golden, sondern grau.
    Hören Sie auf, sagte die allzu nahe Frau, wer wird denn so trist sein!
    Der junge Mann war verlegen, aber über den Farbton, in dem er sein Prag sah, mußte er schließlich besser Bescheid wissen.
    Sein Prag sei grau und nicht golden, beharrte er tapfer. Er schluckte und genierte sich seines Adamsapfels. Ja, zuweilen sei es sogar schwarz.
    Wahrscheinlich, flüsterte Herr Burton, der seine Erfahrungen hatte, stammt der junge Mann aus tristen Verhältnissen.
    Nicht unmittelbar. (Ausgerechnet das hatten seine Fledermausohren gehört.) Sein Vater habe sich nämlich emporgearbeitet. Jetzt sei er Inhaber eines Geschäfts für Galanteriewaren.
    Galanteriewaren? Aber das klingt doch charmant!
    Der junge Mann lachte. Es klang, als wäre er im Stimmbruch.
    Sein Vater handle mit Kurzwaren Modeartikeln Baumwollsachen Spazierstöcken Sonnen- & Regenschirmen. Besonders die Regenschirme seien charmant, man könne damit den grauen Himmel aufspießen.
    Der junge Mann aus Prag, bemerkte Herr Burton und war dem langen, dünnen Menschen, der ihm und seiner Frau so brav Rede und Antwort stand, nein lag, nun wieder von Herzen gut, habe ja anscheinend ein gewisses poetisches Talent. So etwas könne er aufgrund einer langjährigen Erfahrung auf diesem Gebiet nämlich beurteilen. Er ließ eine Pause, die aber ungenutzt verstrich. Ja, ein gewisses poetisches Talent scheine der junge Mann aus Prag zu haben, wenngleich es sich offenbar etwas melancholisch präsentiere.
    Der junge Mann klappte auf wie ein Taschenmesser. Es sei ja auch eine Pest, eine wahre Plage!
    Was?
    So ein sogenanntes Talent, sagte er, das ihm anscheinend ekelhafte Wort geradezu ausspuckend. Man müsse froh sein, wenn man davon verschont bleibe.
    Nicht daß er von sich selbst spreche, aber er habe da einen Bekannten. (Zu seiner eigenen Überraschung merkte er, daß er aufgestanden war und trotz des Seegangs in der Kabine hin und her ging.) Der schreibe seit Jahren, das heißt, er
versuche
zu schreiben. Oder er versuche seit Jahren
nicht
zu schreiben, ja, so lasse sich der traurige Sachverhalt vielleicht treffender darstellen. Gedichte zu schreiben habe der übrigens aufgegeben. Die habe er sozusagen als Pubertätslaster hinter sich gelassen. Doch mit der Prosa sei es womöglich noch schlimmer. Man brauche mehr Zeit dafür, obwohl man, wenn der sogenannte Ernst des Lebens einmal angebrochen sei, natürlich über immer weniger Zeit für solchen Unernst verfüge.
    Mit einem Wort: Sein Bekannter mache sich fertig. Das Schreiben sei ihm Geisterbeschwörung, Besessenheit, Einwilligung in die fragwürdigsten Umarmungen. Von den Nächten, in denen er sich damit auspumpe, habe er untertags Ringe unter den Augen. Jetzt sei er gerade wieder einmal dabei, es sich abzugewöhnen, aber (bei diesen Worten geriet der junge Mann etwas aus der Balance) es bleibe dahingestellt, ob er diesmal durchhalte.
    Und Sie?
    Was: Und ich?
    Schreiben Sie auch?
    Darauf gab der junge Mann keine Antwort.
    Die vielen Worte, die er auf einmal gemacht hatte, hatten ihn sichtlich angestrengt. Seine Hand kam in Versuchung, nach dem weggestellten Cognacglas zu greifen, aber sein Hirn gab ihr nicht nach. Dann ließ er sich tief in einen der Lehnsessel sinken.
    Und sah
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