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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden
Autoren: Peter Henisch
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Eigentümlichkeiten erst gar nicht aufkommen zu lassen. Was hast
du
schon zu sagen? Was bildest du dir ein? Was glaubst du, wer du bist? Sowohl seinem Vater als auch den Professoren des K. K. Staats-Gymnasiums gegenüber sei er sich, trotz eines pubertären Wachstumsschubs, zum Verschwinden klein vorgekommen.
    Gelesen habe er gern. Das war ein wichtiger Teil seiner Eigentümlichkeit. Doch wenn er abends mitten in der Lektüre einer aufregenden Geschichte gewesen sei, so sei das nie akzeptiert worden. Man habe das Schlafengehen zu einer bestimmten Zeit einfach verordnet. Habe er trotzdem weitergelesen, so habe ihm sein Vater, ohne auch nur ein Wort an ihn zu verlieren, einfach das Gas abgedreht. Im Dunkeln liegend habe er eine ohnmächtige Wut empfunden. Aber wartet nur, habe er gedacht, ihr werdet schon sehen!
Wer
genau,
was
genau, habe er nicht gewußt. Da war ihm Old Shatterhand die ideale Identifikationsfigur.
    Ja? sagte Herr Burton, noch einmal Hoffnung schöpfend.
    Unerkannt …
    Ja?
    Abwartend …
    Ja?
    Den Ernst seiner Inferiorität sozusagen zum Spiel umträumend …
    Ganz gezielt spielt der Held die Rolle des Greenhorns, das er einmal gewesen zu sein behauptet. Aber er und seine Leser sind sich sehr bald darüber einig, daß er schon als sogenanntes Greenhorn den meisten anderen haushoch überlegen war.
    Immer wieder gönnt er sich diese raffiniert hinausgezögerte Bestätigung. Ob er nun im Wilden Westen oder (in seiner anderen Erscheinungsform als Kara Ben Nemsi) im Wilden Osten reist. Nein, wie sich die Leute einen prinzipiellen Sieger vorstellen, so sieht er nicht aus. Sie machen sich lustig über ihn, auf diverse Proben gestellt, versagt er absichtlich, seine Souveränität, an der er indessen nicht zweifelt, zeigt sich erst, wenn sie wirklich nottut.
    Ja, ja, ja!
    Er genießt diese Koketterie. Wer zuletzt lacht, lacht am besten – er kann es sich sogar meist ersparen, den sein überlegenes Wesen enthüllenden Namen zu nennen. Das machen dann andere – plötzlich wird einer erkennen, ehrfürchtig oder entsetzt, wer da unter ihnen weilt. Er braucht nur den Dingen ihren Lauf zu lassen – Old Shatterhands sagenhaftes Selbstbewußtsein beruht auf einer des letztendlichen Triumphes gewissen, heiteren Gelassenheit.
    Das haben Sie, sagte Herr Burton, schön gesagt.
    Ja, sagte der junge Mann, aber es ist eine Illusion … Spätestens wenn Ihnen dieser Old Shatterhand seinen berühmten Fausthieb verpaßt, wissen Sie, mit wem Sie es zu tun haben … Unsereinem steht so ein Hieb leider nicht zur Verfügung – da, sehen Sie nur meine Hände …
    Es kommt dabei weniger auf die große, starke Faust an als auf die Stellung der Fingerknöchel. Und außerdem muß man die richtige Stelle treffen. Sagte Herr Burton und wies seine weiße Rechte. Die wirkte gepflegt, hatte aber Altersflecken.
    Nein, sagte der junge Mann, eines Tages habe er sich keine Illusionen mehr machen wollen, auch nicht solche … Ich wollte Wahrheit. Ich wollte Klarheit. Wenn diese Wahrheit und diese Klarheit traurig waren, mußte ich mich eben in dieser Traurigkeit einrichten … Also habe er die vierundzwanzig Karl-May-Bände, die er bis dahin besessen habe, aus dem Bücherregal genommen und in ein Antiquariat getragen. Mit dem Geld dafür habe er sich seine ersten Bände wirklicher Literatur gekauft.
    Noch einmal schenkte Herr Burton sich nach. Und was bitte ist das?
    Wirkliche
Literatur? sagte der junge Mann. Nun, vielleicht erkenne man sie daran, daß sie nicht nur wohl-, sondern auch wehtue. In so einem Buch sollte nicht der Faustschlag stecken, der andere betäubt, sondern jener, der uns weckt. Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.
    Gefrorenes Meer in uns? Den Herrn Burton fröstelte.
    Wie
alt, junger Mann, fragte er, sagen Sie, sind Sie?
    Fünfundzwanzig, sagte der, aber glauben Sie nicht, daß ich das Leben nur tragisch finde. Jedenfalls finde ich gerade das Tragische daran manchmal ausgesprochen komisch.
    Er stand auf und verneigte sich wie eine Marionette.
    Aber was rede ich. Ich rede wahrscheinlich schon wieder zu viel. Ich habe ja gleich gewußt, ich sollte nichts trinken. Sie waren sehr freundlich zu mir, aber es ist wohl besser, wenn ich mich jetzt zurückziehe.
    Im Rückwärtsgehen stolperte er. Wieder fiel irgend etwas zu Boden.
    Hoppla! sagte der junge Mann. Entschuldigung, Verzeihung … Ich komme mir manchmal vor wie ein neuer Typus von Clown … Leben Sie wohl! Verbindlichsten Dank! Küß die Hand,
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