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Eines Abends in Paris

Eines Abends in Paris

Titel: Eines Abends in Paris
Autoren: Nicolas Barreau
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1
    Eines Abends in Paris, es war etwa ein Jahr, nachdem das Cinéma Paradis wieder eröffnet worden war, und genau zwei Tage, nachdem ich das Mädchen im roten Mantel zum ersten Mal geküsst hatte und voller Unruhe unserer nächsten Begegnung entgegenfieberte, passierte etwas Unglaubliches. Etwas, das mein ganzes Leben auf den Kopf stellen sollte und mein kleines Kino zu einem magischen Ort werden ließ – einem Ort, an dem sich Sehnsüchte und Erinnerungen trafen, einem Ort, an dem Träume plötzlich wahr werden sollten.
    Von einem Moment auf den anderen war ich Teil einer Geschichte, wie sie kein Kino schöner erfinden kann. Ich, Alain Bonnard, wurde herausgerissen aus meiner gewohnten Umlaufbahn und hineinkatapultiert in das größte Abenteuer meines Lebens.
    »Du bist ein Mann der Peripherie, ein Beobachter, der es vorzieht, am Rand des Geschehens zu stehen«, hatte Robert einmal zu mir gesagt. »Mach dir nichts draus.«
    Robert ist in erster Linie mein Freund. In zweiter Linie ist er Astrophysiker und nervt seine Umwelt damit, die astrophysikalischen Gesetze auf die Dinge des täglichen Lebens zu übertragen.
    Mit einem Mal war ich nun also kein Beobachter mehr, ich war mittendrin in diesem turbulenten, unerwarteten, verwirrenden Geschehen, das mir den Atem raubte und bisweilen auch den Verstand. Das Schicksal hatte mir ein Geschenk gemacht, ich hatte es überwältigt entgegengenommen und hätte dabei fast die Frau verloren, die ich liebte.
    An jenem Abend aber, als ich nach der letzten Vorstellung auf die regennasse Straße hinaustrat, in der sich zögernd das Licht einer Laterne spiegelte, ahnte ich noch nichts von alledem.
    Und ich wusste auch nicht, dass das Cinéma Paradis den Schlüssel zu einem Geheimnis barg, von dem mein ganzes Glück abhängen sollte.
    Ich ließ das Gitter herunter, um abzuschließen, streckte mich und atmete tief durch. Der Regen hatte aufgehört, nur ein kleiner Schauer. Die Luft war weich und frühlingshaft. Ich schlug den Kragen meiner Jacke hoch und wandte mich zum Gehen. Erst da bemerkte ich den kleinen schmächtigen Mann im Trenchcoat, der mit seiner blonden Begleiterin im Halbdunkel stand und das Kino interessiert in Augenschein nahm.
    »Hi «, sagte er mit unverkennbar amerikanischem Akzent. »Sind Sie der Besitzer dieses Kinos? Great film, by the way.« Er wies auf den Schaukasten, und sein Blick blieb anerkennend an dem Schwarz-Weiß-Plakat des Films The Artist hängen, dessen altmodische Stille vor allem die Bewohner der neuen Welt völlig aus der Fassung gebracht hatte.
    Ich nickte kurz und war schon darauf gefasst, dass er mir jetzt eine Kamera in die Hand drücken und mich bitten würde, von sich und seiner Frau ein Foto vor meinem Filmtheater zu machen, das zwar nicht das älteste von Paris ist, aber eben doch eines dieser kleinen alten plüschigen Kinos, die heutzutage traurigerweise vom Aussterben bedroht sind, als der kleine Mann einen Schritt näher trat und mir durch seine Hornbrille einen freundlichen Blick zuwarf. Mit einem Mal meinte ich ihn zu kennen, aber ich hätte nicht sagen können, woher.
    »Wir würden uns gerne mit Ihnen unterhalten, Monsieur …«
    »Bonnard«, sagte ich. »Alain Bonnard.«
    Er streckte mir die Hand hin und ich schüttelte sie einigermaßen verwirrt.
    »Kennen wir uns?«
    »Nein, nein, ich glaube nicht. Anyway … nice to meet you, Monsieur Bonnard. Ich bin …«
    »Oh, sind Sie etwa verwandt mit dem Bonnard? Dem Maler?«
    Die blonde Frau war aus dem Schatten getreten und sah mich aus ihren blauen Augen belustigt an.
    Dieses Gesicht hatte ich ganz bestimmt schon einmal gesehen. Viele Male sogar.
    Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff. Und noch bevor der Amerikaner in dem beigefarbenen Trenchcoat seinen Satz zu Ende brachte, wusste ich, wen ich vor mir hatte.
    Keiner kann es mir verdenken, dass ich die Augen aufriss und mir vor Überraschung der Schlüsselbund aus der Hand glitt. Die ganze Szenerie war – um es mit den Worten des schüchternen Buchhändlers aus dem Film Notting Hill zu sagen – einigermaßen surreal. Einzig das Geräusch der Schlüssel, die mit einem leisen Klirren vor mir auf dem Trottoir landeten, überzeugte mich davon, dass dies alles wirklich passierte. So unwirklich es auch war.

2
    Als Kind schon waren die schönsten Nachmittage jene, die ich mit Onkel Bernard verbrachte. Wenn meine Schulkameraden sich zum Fußball verabredeten, Musik hörten oder hübschen Mädchen an den Zöpfen zogen, rannte ich die
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