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Eines Abends in Paris

Eines Abends in Paris

Titel: Eines Abends in Paris
Autoren: Nicolas Barreau
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Rue Bonaparte hinunter, bis ich die Seine sehen konnte, bog noch zweimal um die Ecke und dann lag die kleine Straße vor mir, in der sich das Haus meiner Träume befand – das Cinéma Paradis.
    Onkel Bernard war so etwas wie das schwarze Schaf in der Familie der Bonnards, wo alle vorwiegend in juristischen oder administrativen Berufen arbeiteten – der Betreiber eines Cinéma d’Art, eines kleinen Lichtspieltheaters, der nichts anderes tat, als sich Filme anzuschauen und sie vorzuführen, wo man doch wusste, dass Filme den Menschen nur Flausen in den Kopf setzten – nein, das war wenig respektabel! Meine Eltern fanden meine Freundschaft mit dem unkonventionellen Onkel, der nicht verheiratet war, 1968 im »Pariser Mai« zusammen mit aufgebrachten Studenten und Filmschaffenden wie dem berühmten François Truffaut gegen die Schließung der Cinématèque française durch den Kultusminister demonstriert hatte und nachts sogar manchmal auf dem zerschlissenen roten Sofa im Vorführraum übernachtete, etwas befremdlich. Doch da ich ein guter Schüler war und auch sonst keine Probleme machte, ließen sie mich ziehen. Sie hofften wohl, dass mein »cinéastischer Spleen« irgendwann von selbst vorübergehen würde.
    Ich hingegen hoffte das nicht. Über dem altmodischen Kassenhäuschen des Paradis hing ein Plakat mit den Köpfen der großen Regisseure und darunter stand Le rêve est réalité – »Der Traum ist Wirklichkeit«. Das gefiel mir außerordentlich. Und dass der Erfinder des Films ein Franzose namens Louis Lumière gewesen war, entzückte mich.
    »Meine Güte, Onkel Bernard«, rief ich aus und klatschte in kindlicher Begeisterung in die Hände. »Der Mann brachte das Licht auf die Leinwand und er heißt auch so – Lumière, das ist ja großartig!«
    Onkel Bernard lachte und legte behutsam eine dieser großen Filmrollen ein, die es damals noch in allen Kinos gab und die Tausende von einzelnen Augenblicken zu einem großen wundervollen Ganzen zusammenfügten, wenn sie sich über dem Filmprojektor drehten – in meinen Augen pure Magie.
    Ich war Monsieur Lumière wirklich zutiefst dankbar für die Erfindung des Cinématographen, und ich glaube, ich war in meiner Klasse der Einzige, der wusste, dass der erste, nur wenige Sekunden dauernde Film aus dem Jahre 1895 die Ankunft eines Zuges im Bahnhof von Ciotat zeigt. Und dass das französische Kino in seiner Seele ein zutiefst impressionistisches Kino ist, wie Onkel Bernard mir immer wieder versicherte. Ich hatte keine Ahnung, was »impressionistisch« bedeutete, aber es musste etwas Wunderbares sein.
    Als unsere Klasse kurze Zeit später mit Madame Baland, der Kunstlehrerin, ins Jeu de Paume ging, wo damals noch die Gemälde der Impressionisten hingen, bevor sie in den alten Bahnhof am Quai d’Orsay umzogen, entdeckte ich unter den zart hingetupften, lichtdurchfluteten Landschaften auch eine schwarze, weißen Rauch ausstoßende Lokomotive, die in einen Bahnhof fährt.
    Ich sah mir das Gemälde lange an und glaubte nun zu wissen, warum man das französische Kino »impressionistisch« nannte. Es hatte etwas mit ankommenden Zügen zu tun.
    Onkel Bernard zog amüsiert die Augenbrauen hoch, als ich ihm meine Theorie erklärte, aber er war zu gutmütig, um mich zu korrigieren.
    Stattdessen brachte er mir bei, wie man den Filmprojektor bedient und dass man immer höllisch achtgeben muss, dass der Zelluloidstreifen niemals zu lange über dem Lichtstrahl schwebt.
    Als wir einmal zusammen den Film Cinema Paradiso anschauten, verstand ich auch, warum. Dieser italienische Klassiker war einer der Lieblingsfilme meines Onkels – vermutlich hatte er sogar sein Kino danach benannt, obwohl es kein französischer Film mit impressionistischer Seele war. »Nicht schlecht für einen italienischen Film, pas mal, hein? «, brummte er in seiner bärbeißig-patriotischen Art und konnte doch kaum seine Rührung verbergen. »Ja, man muss zugeben, auch die Italiener können was.«
    Ich nickte, noch ganz erschüttert von dem tragischen Schicksal des alten Filmvorführers, der durch einen Brand in seinem Kino erblindet. Natürlich sah ich mich in dem kleinen Jungen Toto, auch wenn meine Mutter mich nie geschlagen hat, weil ich mein Geld für Kinovorstellungen ausgab. Das musste ich ja auch nicht, denn ich bekam die schönsten Filme umsonst zu sehen, auch solche, die für einen elfjährigen Jungen nicht immer geeignet waren.
    Onkel Bernard scherte sich nicht um Altersbeschränkungen, so lange es
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