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Eines Abends in Paris

Eines Abends in Paris

Titel: Eines Abends in Paris
Autoren: Nicolas Barreau
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richtige Freundinnen. Nach einer Weile verließen sie mich wieder, enttäuscht darüber, dass ich am Ende doch nicht der tolle Macher war, für den sie mich anfangs wohl gehalten hatten.
    Ich war nicht unglücklich und ich war nicht glücklich, doch als mich an einem heißen, stickigen Sommernachmittag ein Brief von Onkel Bernard erreichte, wusste ich, dass sich alles ändern würde und dass ich tief im Inneren immer noch der Träumer war, der mit klopfendem Herzen in der Dunkelheit eines kleinen Kinosaals gesessen hatte, um in andere Welten einzutauchen.
    Es war etwas geschehen, das niemand für möglich gehalten hatte. Onkel Bernard, inzwischen bereits dreiundsiebzig, hatte die Frau seines Lebens gefunden und wollte mit ihr an die Côte d’Azur ziehen, dorthin, wo es das ganze Jahr über warm war und die Landschaft in ein ganz besonderes Licht getaucht.
    Ich verspürte einen kleinen Stich im Herzen, als ich las, dass er vorhatte, das Cinéma Paradis aufzugeben.
    Seit ich Claudine kenne, habe ich das Gefühl, dass die ganze Zeit ein Filmprojektor zwischen mir und dem Leben gestanden hat , schrieb er mit seiner ungelenken Schrift.
    Für meine letzten Jahre will ich nun selbst die Hauptrolle haben. Trotzdem macht es mich traurig, dass aus dem Ort, an dem wir zusammen so viele wunderbare Nachmittage verbracht haben, vielleicht ein Restaurant wird oder einer dieser neumodischen Clubs.
    Bei dem Gedanken, dass das alte Kino dergestalt umfunktioniert werden könnte, drehte sich mir der Magen um. Und als Onkel Bernard mich am Ende seines Briefes fragte, ob ich mir vielleicht vorstellen könnte, nach Paris zurückzukehren und das Cinéma Paradis zu übernehmen, seufzte ich fast vor Erleichterung.
    Auch wenn Du inzwischen ein ganz anderes Leben führst, mein Junge, so wärst Du doch der Einzige, den ich mir als meinen Nachfolger vorstellen könnte. Du hast schon als Kind diese Kinoverrücktheit gehabt und ein ausgezeichnetes Gespür für gute Filme.
    Ich musste lächeln, als ich an Onkel Bernards emphatische Vorträge von einst dachte, dann glitt mein Blick über die letzten Zeilen seines Briefes, und noch lange nachdem ich sie gelesen hatte, starrte ich auf das Papier, das in meinen Händen angefangen hatte zu zittern und sich dann mit einem Riss zu öffnen schien, wie damals die Spiegel des Orphée.
    Weißt du noch, Alain, wie du mich immer gefragt hast, warum du die Filme mehr liebst als alles andere? Heute will ich es dir verraten. Der kürzeste Weg führt über das Auge zum Herzen. Vergiss das nie, mein Junge.
    Ein halbes Jahr später stand ich auf dem Bahnsteig des Pariser Gare de Lyon, von dem aus alle Züge in Richtung Süden fahren, und winkte Onkel Bernard nach, der mit seiner Liebsten, einer entzückenden kleinen Dame mit unzähligen Lachfältchen, entschwand.
    Ich winkte, bis ich nur noch sein weißes Taschentuch sehen konnte, das unternehmungslustig im Wind flatterte. Dann nahm ich mir ein Taxi, das mich zurückbrachte zum wichtigsten Ort meiner Kindheit. Zum Cinéma Paradis, das nun mir gehörte.

3
    In Zeiten wie diesen ist es nicht einfach, ein kleines Programmkino zu führen, ich meine eines, das in erster Linie versucht, von der Qualität seiner Filme zu leben und nicht von Werbeeinnahmen, riesigen Popcorn-eimern und Coca-Cola.
    Die meisten Leute haben es verlernt, genau hinzuschauen, sich einfach einzulassen auf zwei Stunden, in denen die wesentlichen Dinge des Lebens angerissen werden, ob sie nun ernst oder heiter sind. Sich einzulassen, ohne zu essen, zu trinken, zu kauen und durch ihre Strohhalme zu schlürfen.
    Als ich nach meiner Rückkehr nach Paris einmal in einem der großen Multiplex-Kinos auf den Champs-Elysées war, wurde mir klar, dass meine Vorstellung vom Filmtheater, dem man auch einen gewissen Respekt erweisen sollte, vielleicht etwas anachronistisch geworden war, und ich weiß noch, dass ich mir plötzlich, obwohl gerade neunundzwanzig Jahre alt geworden, ziemlich démodé und deplatziert vorkam in dem ganzen Geplapper und Geraschel um mich herum.
    Kein Wunder, dass die Filme heute immer lauter und schneller werden, immerhin müssen die großen Hollywood-Blockbuster und Actionfilme, die auch in Europa ein Millionenpublikum anlocken sollen, ja den ganzen Lärm übertönen, der in einem solchen Kinosaal herrscht, und der zunehmenden Unkonzentriertheit des Publikums immer neue Attraktionen entgegensetzen.
    »Gibt es hier kein Popcorn?« ist die immer wieder gestellte Frage in meinem Kino.
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