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Eines Abends in Paris

Eines Abends in Paris

Titel: Eines Abends in Paris
Autoren: Nicolas Barreau
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seinem »Das ist genau wie …« anfing und sich dann in irgendwelchen astrophysikalischen Formeln verlustierte, die auf wundersame Weise in einer mir unbekannten Hubbleschen Konstante endeten, verstand ich kein Wort mehr und meine Gedanken schweiften ab.
    Habe ich erwähnt, dass ich eher der zurückhaltende Typ bin? Und ich möchte gleich hinzufügen: nicht langweilig. Im Gegenteil – ich habe ein sehr reiches Innenleben und viel Phantasie. Nur weil ein Mann eine Frau, die ihm gefällt, nicht sofort in sein Bett zerrt, muss das ja nicht bedeuten, dass er ein Volltrottel ist.
    Im Gegensatz zu so manchem Draufgänger sehe ich viele Dinge. Nicht in einem prophetischen Sinn, natürlich. Vielleicht habe ich in meinem Leben einfach zu viele Filme angeschaut, aber seit ich das Cinéma Paradis betreibe, habe ich festgestellt, dass es mir ein großes Vergnügen bereitet, die Menschen genauer zu betrachten und meine Schlüsse zu ziehen. Und ohne dass ich es eigentlich will, laufen mir ihre Geschichten zu wie anderen Leuten junge Hunde.
    Manche Besucher kommen nur ein Mal, andere sind regelmäßig hier im Cinéma Paradis und ich meine sie fast zu kennen. Ich rede vielleicht nicht besonders viel, aber ich sehe sehr viel. Ich verkaufe ihnen die Karten und sehe ihre Gesichter. Ihre Geschichten. Ihre Geheimnisse.
    Da ist der große alte Mann mit dem hellbraunen Cordanzug, der die ihm noch verbliebenen Haare nachlässig zurückgekämmt hat und keinen Film von Buñuel, Saura oder Sautet verpasst. Ich denke mir, dass er in seiner Jugend den Idealen des Kommunismus angehangen hat und später Professor geworden ist. Seine Augen, die unter buschigen silbernen Augenbrauen hervorblitzen, sind hell und voller Klugheit. Er trägt immer leuchtend blaue Hemden unter seiner alten Cordjacke, die an den Aufschlägen schon ein wenig abgewetzt ist, und ich bin mir sicher, dass er verwitwet ist. Er gehört zu den wenigen Männern seiner Generation, die ihre Frauen überlebt haben, und er hat die seinige sicherlich sehr geliebt. Sein Gesicht ist offen und freundlich. Und wenn er das Kino verlässt, bleibt er immer einen winzigen Moment stehen, als ob er noch auf jemanden warten würde, und geht dann ein wenig überrascht weiter.
    Dann gibt es diese Frau mit den üppigen schwarzen Locken und der kleinen Tochter. Sie ist vielleicht Ende dreißig und die beiden gehen regelmäßig zusammen in die Kindervorstellung am Wochenende. »Papa kommt heute später«, hat sie einmal zu dem Kind gesagt, das an ihrer Hand aus dem Kinosaal hüpfte, und ihr Gesicht war blass und traurig und müde über ihrem bunten Schal. Um ihren Mund lag plötzlich ein bitterer Zug. Sie kommt nie zu spät, eher zu früh. Sie hat viel Zeit. Manchmal, wenn sie im Foyer steht und auf den Einlass wartet, dreht sie gedankenverloren an ihrem Ehering. Ich vermute, ihr Mann betrügt sie, und sie weiß es. Aber sie weiß nicht, ob sie ihn wirklich verlassen soll.
    Der rundliche Mann mit der Nickelbrille, der sich meistens Komödien anschaut und viel und gerne lacht, wurde jedenfalls schon von seiner Freundin verlassen. Seitdem ist sein Bauch noch etwas runder geworden und er wirkt verunsichert. Er arbeitet jetzt sehr viel, unter seinen Augen liegen Schatten, und wenn er kommt, kommt er immer ganz knapp vor Vorstellungsbeginn, manchmal hat er seine Aktentasche sogar noch dabei. Trotzdem glaube ich, dass es so besser für ihn ist. Seine Freundin war eine verdrossene kleine rothaarige Hexe, die ihn ständig kritisierte, man weiß gar nicht so genau, warum. Dieser Mann könnte keiner Fliege etwas zuleide tun.
    Und so sitze ich Abend für Abend in meinem Kino und mache mir meine Gedanken. Doch die Besucherin, die mir das größte Rätsel aufgibt, deren Geschichte mich am meisten interessiert, die immer allein kommt und auf die ich jeden Mittwoch mit klopfendem Herzen warte, ist eine andere.
    Die Frau im roten Mantel sitzt immer in Reihe siebzehn, und ich frage mich, was für ein Geheimnis sie wohl hat.
    Ich möchte ihre Geschichte unbedingt herausfinden und gleichzeitig habe ich Angst davor, dass sie am Ende nicht zu meiner Geschichte passen könnte. Ich fühle mich wie Parzival, der nicht fragen darf, und ich ahne schon jetzt, dass die Geschichte dieser Frau eine ganz besondere ist. Sie ist so überaus bezaubernd, und heute Abend werde ich sie endlich ansprechen und fragen, ob sie mit mir essen geht.
    Eine große Hand packte mich am Ärmel und schüttelte mich, und so kehrte ich zurück auf
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