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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden
Autoren: Peter Henisch
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seinen Rocktaschen.
    Klara, wo ist denn mein Zigarettenetui?
    Aber du weißt doch, Karl, du sollst nicht rauchen.
    Ja, ich weiß. Aber es wäre mir verdammtnocheinmal lieber, wenn du die Konsequenz daraus mir überließest!
    Beim Zigarettenanzünden zitterten seine Hände. Den ersten Zug tat er mit geschlossenen Augen. Tief einatmend, aufatmend, einen Rauchkringel ausatmend. Pardon, besann er sich schließlich, mögen Sie auch eine?
    Im Gegenteil. Der junge Mann versuchte dem Rauchkringel auszuweichen. Gegen Rauch war der junge Mann aus Prag fast allergisch. Kaum zündete sich jemand eine Zigarette an, verspürte er schon einen unwiderstehlichen Hustenreiz. Aber da er den Herrn Burton ohnehin durch irgend etwas verstimmt hatte, konnte er ihn wohl jetzt nicht gleich bitten, das Rauchen wieder einzustellen.
    So hüstelte er heroisch, während er sich zu erklären versuchte. Er sei halt einer, der seine Zeit im Bureau wie eine Gefangenschaft absitze. Über die Arbeit klage er nicht so sehr wie über die Faulheit der sumpfigen Zeit. Das habe wenig damit zu tun, ob diese Zeit bis zum Abend oder nur bis zum frühen Nachmittag dauere.
    Schon gut, sagte Herr Burton.
    Die Bureauzeit nämlich, sagte der junge Mann, lasse sich nicht zerteilen. Er meine: Noch in der letzten halben Stunde spüre man ihren Druck wie in der ersten. Es sei oft wie bei einer Eisenbahnfahrt durch Nacht und Tag, bei der man das Gefühl für die Bewegung des Zugs und für die Strecke, die zurückgelegt werde, beinahe verliere. Man könne nur sitzen und warten, so als hinge alles einzig und allein vom Zeiger der Uhr ab, die man vor sich auf der Handfläche halte.
    Wie er endlich nach seiner Uhr gegriffen hatte. Selbstverständlich war sie stehengeblieben. Einen der hinter ihm wartenden Kollegen, nach denen er sich nun doch hatte umdrehen müssen, hatte er nach der Zeit gefragt. Wie der gelacht hatte. Aus seinem Gespräch heraus in die Zeitangabe hinein.
    Womöglich hatte der
über ihn
gelacht! Plötzlich entschlossen hatte er den Schirm aufgespannt und den inzwischen abgestellten Koffer angehoben. Wie allerdings noch ein paar Frauen vorbeigeeilt waren, die ihm den Weg versperrt hatten. Der Hut eines kleinen Mädchens (Stroh, rot), der einzige Farbfleck in dieser schwarzweißen Erinnerung.
    In der nächsten Sequenz war er schon auf der Straße. Die stieg ein wenig in der Richtung an, in die er gehen wollte. Der Koffer, obwohl nicht viel drin war, schien ihm nicht leicht. Er hielt den Schirm, dessen Drahtgestell dadurch etwas eingedrückt wurde, gegen den Wind und spürte, wie sein Überzieher wehte.
    Und jetzt wandern Sie aus?
    Wie bitte? Der junge Mann mußte erst wieder auf das Schiff, auf dem sie gemeinsam fuhren, zurückfinden.
    Sein Aufbruch aus der Alten Welt, sagte er schließlich, sei ein recht plötzlicher gewesen. Er sei noch gar nicht dazugekommen, sich das alles richtig zu überlegen. Manchmal habe er das Gefühl, daß er diese ganze Überfahrt nur träume.
    Nun, sagte darauf Herr Burton, es
sei ja
auch ein Traum. Etwas, wovon andere, unter weniger glücklichen Umständen, nur träumen könnten. Selbst wenn der junge Mann, wie man gesehen habe, bescheiden reise … Er sei zu beneiden. Darauf könne man durchaus noch einmal anstoßen.
    Und griff erneut nach dem Cognacglas und erhob es.
    Seine Frau tat es ihm nach. Dem jungen Mann blieb auch nichts anderes übrig.
    Er berührte das Glas mit den Lippen und tat so, als ob er trinke.
    Offenbar nicht überzeugend genug. Aber junger Mann, Sie trinken ja gar nichts!
    Entschuldigung, sagte er, er habe es ja schon erwähnt. Er trinke nichts oder
fast nichts
, es tue ihm nicht gut.
    (Jetzt nippte er trotzdem.)
    Er vertrage nicht viel.
    (Jetzt trank er.)
    Er vertrage nicht viel von fast allem, bei ihm hätten nämlich kleine Ursachen große Wirkungen.
    Das ist komisch, sagte er, finden Sie nicht? Sehen Sie, ich muß zum Beispiel schon lachen, wenn ich nur das Wort ›komisch‹ ausspreche.
    Er lachte. Er wurde förmlich vom Lachen geschüttelt.
    Bis ihm vor lauter Lachen das Glas aus der Hand fiel.
    Oh, Verzeihung, tut mir fürchterlich leid!
    Frau Burton seufzte. Ihr Rock hatte etwas vom Cognac abbekommen.
    Ich bin ungeschickt, sagte der junge Mann, bei mir geht alles daneben.
    Was
geht daneben?
    Das Leben. Manchmal habe ich den Eindruck, mein ganzes Leben geht daneben.
    Versündigen Sie sich nicht, sagte Frau Burton, so ein junger Mensch wie Sie …!
    Nun, er sehe, sagte der junge Mann aus Prag, wie
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