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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden
Autoren: Peter Henisch
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gnädige Frau!

2
    Es war elf Uhr nachts. Sanft vom Ozean geschaukelt lagen Herr & Frau Burton im Bett ihrer Luxuskabine. Sie schon den Schlummer erwartend, er noch lesend. Er blätterte um. Sie drehte sich um und seufzte. Nicht so laut umblättern, Schätzle, ich kann nicht einschlafen!
    Ich kann auch nicht einschlafen, Herzle, deswegen lese ich.
    Was liest du denn überhaupt?
    Das Logbuch des Columbus.
    Den ganzen Tag bis drei Uhr morgens steckte ich in einer Flaute.
    Originell, sagte Frau Burton. Bemüh dich, leiser zu lesen!
    Herr Burton, gar keine Frage, bemühte sich. Die Behutsamkeit, mit der er nun blätterte, ließ nichts zu wünschen übrig. Aber wieso war sein Atmen auf einmal so hörbar? Zwei, drei Mal drehte sich seine Frau noch von einer Seite auf die andere, dann aber lag sie ihm zugewandt und ihn ansehend.
    Das war er also: Ihr Mann, um den sie gekämpft hatte. Wie war bloß sein Haar so weiß und dünn geworden? Als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, war es kaum grau gewesen. Meliert, wie man so sagt. Ein Herr auf der Hochebene seines Lebens.
    Der einzige Sohn einer bitterarmen Weberfamilie aus dem Erzgebirge hat ein gewichtiges Werk geschaffen … Sein joviales Profil: Auch ihrem seligen Richard hatte es imponiert. Klara, hatte er gesagt, ich schätze mich glücklich, mit so einem bedeutenden Menschen … Wie hatte er gesagt? So intimen Umgang zu haben? – Ach, der arme, dumme Richard!
    Herzle?
    Ja.
    Stell dir vor, dieser Columbus hätte Amerika
nicht
entdeckt.
    Eine angenehme Vorstellung. Dann hättest du jetzt kein Logbuch zu lesen und könntest das Licht auslöschen.
    Nein, aber im Ernst: Was für ein Segen für die armen Indianer!
    Und was für ein Segen für
mich
. Gesegnete Nachtruhe!
    Wieder versuchte Frau Burton einzuschlafen. Doch blieb ihr bewußt, daß ihr Gatte immer noch wach war. Zwar ging sein Atem jetzt nicht mehr ganz so geräuschvoll. Aber sie bildete sich ein, daß sie hörte, wie sich seine Augäpfel, den Zeilen folgend, bewegten.
    Klara, hatte Richard gesagt, er braucht jemand, der ihm die Post erledigt. Wenn du ihm ein wenig zur Hand gehen wolltest, wäre dir untertags zu Hause nicht so langweilig. Magst du, so werde ich gern mit ihm drüber reden. Die Arbeit ist sicher nicht schwer und wird dein Niveau heben.
    Blödmann! – Den Zwicker hatte Karl damals noch kaum getragen. Wenn sie in seine Nähe gekommen war, hatte er ihn jedenfalls abgenommen. Wenn
sie
in
seine
Nähe gekommen war, wenn
er
in
ihre
Nähe gekommen war, wenn sie einander nahe gekommen waren. Seine Wangen hatten sie damals noch nicht so sehr an die ihres Großvaters erinnert.
    Er klappte das Buch endlich zu und knipste das Licht aus.
    Er wälzte sich um. Mein Gott, so schwer war er doch gar nicht!
    Sie wälzte sich auch um. Nein, also wirklich, dieses Luxusbett war schlecht gefedert! – Daß sie so zart war, hatte sie von seiner ersten Frau unterschieden.
    Nicht
nur
das natürlich. Miez hatte er die genannt, sie dagegen Mausl. – Liebst du sie noch? Nein, sie hat kein Verständnis für meine Arbeit … Du dagegen, du hast das. (Ihr hatte er diktieren können.) Du hast Verständnis für meine Arbeit und machst keine Rechtschreibfehler.
    Herzle!
    Ja?
    Sei mir nicht bös, sagte der alte Mann neben ihr, aber es ist unmöglich.
    Was?
    Daß ich einschlafe.
    Jetzt würde sie ihn wohl fragen müssen, was er habe.
    Was hast du denn, Schätzle?
    Nichts.
    Aber geh, ich merks doch!
    Gut, du hast recht. Der junge Mann von heute abend geht mir nicht aus dem Kopf.
    Hat er dich
sehr
gekränkt?
    Ja. Oder nein. Ich weiß nicht. – Aber es ist nicht so, daß ich mich durch den jungen Mann aus Prag nur gekränkt fühle.
    Sondern? Gefällt er dir?
    Aber Herzle, ich bitt dich!
    Schöne Augen hat er.
    Tatsächlich?
    Na hör einmal, Karl, das ist dir doch aufgefallen!
    Sie nahm seine Hand, legte sie vor sich auf die Bettdecke und streichelte sie.
    Jedenfalls, sagte er, wolle er den jungen Mann wieder treffen und ihm was sagen.
    Was?
    Oder vielleicht wolle er ihn auch nur etwas fragen. – Gleich morgen früh werde er noch einmal ins Zwischendeck hinuntersteigen, um ihn zu suchen.
    Sei vorsichtig, Karl. Frau Burton war plötzlich beunruhigt.
    Aber warum denn?
    Hast du nicht gesehen? Dort unten gibt es so – zwielichtige Existenzen.
    Keine Angst, sagte Herr Burton, mit denen werde er noch allemal fertig. Schließlich sei er doch schon 1864 oder ’65 im Zwischendeck gereist!
    Frau Burton knipste das Nachtlämpchen wieder an.
    Aber
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