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Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen

Titel: Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
Autoren: Jan Beinßen
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1
    Nürnberg, im Frühjahr 1991

     
    Mit einem Glas Wein saß sie am Schreibtisch ihrer kleinen Dachgeschosswohnung. Das Licht einer Kerze ließ ihr kastanienbraunes Haar rötlich schimmern. Sina tippte mit dem Zwei-Finger-Such-System auf ihrer betagten Reiseschreibmaschine und kam zu ihrem Leidwesen nur langsam voran. Genau genommen kam sie gar nicht voran, denn Sina scheiterte bereits am Einstiegssatz. Aber es war ja auch ein schwieriges Unterfangen, dem sie sich verschrieben hatte.
    Nach mehreren erfolglosen Anläufen und etlichen zerknüllten Papierbögen lehnte sich Sina frustriert in ihrem Drehstuhl zurück und gab dem Kasten vor ihr einen verächtlichen Klaps. Das fing ja gut an. Bereits nach den ersten Versuchen verließ sie die Lust. Die Schreibmaschine war schuld. Sie hakte, einige Tasten klemmten bei jedem Anschlag fest. Für Sina ein willkommener Vorwand, von ihrem Plan vorläufig abzulassen. Nein, einen Roman zu schreiben, dazu war sie wohl nicht geboren. War ja auch eigentlich nur eine Schnapsidee. Am Abend zuvor war sie darauf gekommen. Als Sina mit Gabriele eine Flasche Portwein geleert und den alten Zeiten nachgetrauert hatte. Wie so oft – immer wieder »die alten Zeiten«. Nach dem vierten Gläschen fing sie an zu schwärmen. Sie wollte alles niederschreiben. All die gemeinsamen Abenteuer der beiden ungleichen Frauen. All die Erlebnisse, die die beiden in den ersten Monaten nach der Grenzöffnung zusammen durchgestanden hatten.
    Ein Roman sollte es werden. 500 Seiten stark oder mehr. Alles sollte drin stehen. Natürlich mit verfremdeten Namen, denn Sina wollte ihre beste Freundin nicht um den Job bringen. Und ihr schon gar keinen Ärger mit der Staatsanwaltschaft einbrocken. Denn rechtens waren die Abenteuer der Frauen nicht. Ganz im Gegenteil.
    Kein Wunder also, dass Gabriele sehr skeptisch reagierte, als sie von dem Buch erfuhr. »Lass den Unsinn«, war ihr einziger Kommentar gewesen, als Sina am Vorabend auf ihre Schriftstellerpläne zu sprechen gekommen war. Bloß: »Lass den Unsinn.« Aber damit spornte sie ihre junge Freundin nur noch mehr an. Wenigstens einmal wollte Sina ihren Kopf durchsetzen und sich nicht von Gabi vorschreiben lassen, was sie tun sollte und was nicht. »Lass den Unsinn.« Pah! Sina würde es dieser altgewordenen Schatzgräberin zeigen! Alles würde sie aufschreiben und mit ihrem Roman Millionen machen. Mehr als Gabriele jemals aus ihrer illegalen Suche nach verschollenen Kunstwerken herausholen könnte. Sina wollte es ihr zeigen!
    Sie gab sich einen Ruck, spannte ein neues Blatt ein und beugte sich wieder über die Schreibmaschinentastatur. Ein neuer Anfang:
    »Sachsen-Anhalt. Ein stillgelegter Salzstock unweit des niedersächsischen Gorleben. Zwei Schatten tasten sich durchs Halbdunkel, die Gesichter geschützt mit Gasmasken. Die Gänge sind vollgestellt mit Kisten und Fässern. Chemische Sonderabfälle aus ehemaligen Ostkombinaten. Überall warnende Aufkleber: ›Gift!‹ Die beiden Figuren nähern sich zielstrebig dem Ende des Stollens. Die Sicht wird schlechter, schwefelgelbe Dämpfe hängen in der Luft.«
    Das Telefon klingelte. »Verdammt, nicht jetzt!«, schimpfte Sina vor sich hin. Gerade war sie so schön drin. Eine Unterbrechung, und sie konnte von vorne anfangen. Also weiter.
    »Vor einer Mauer machen die beiden halt, schlagen Steine heraus. Eine der Gestalten zwängt sich durch das Loch in eine kleine Kammer. Im Licht der Taschenlampe tauchen verzierte Kelche, alte Handschriften und Gemälde auf. Das meiste stark lädiert, von Säure zerfressen. Dumpfes Fluchen unter der Maske. Ein wütender Tritt gegen einen verrosteten Kerzenhalter. Hände greifen sich ein paar besser erhaltene Kleinigkeiten. Wieder im Tageslicht ziehen die beiden die Masken von ihren Köpfen. Zum Vorschein kommen – zwei Frauengesichter.«
    Es klingelte immer noch. »Ich hasse Telefone!« War das nun gut, was sie da in die Kiste getippt hatte? Immerhin besser als nichts. Aber die Einführung der beiden Hauptdarstellerinnen – war sie nicht zu kurz geraten?
    Das Läuten ging ihr langsam auf die Nerven. Wer war denn da so penetrant? Sina nahm den Hörer kurz von der Gabel, legte gleich danach wieder auf. Ein alter Trick. Nicht höflich, aber wirksam. Und wie sollte es nun weitergehen? Die Handlung einfach fortsetzen? Aber nein, noch konnte der Leser nicht wissen, wer die beiden Frauen in dem Salzstollen waren. Sina würde eine kurze Einführung schreiben müssen. Ein kleines Porträt von
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