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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden
Autoren: Peter Henisch
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Und ein paar Jahre später war ich Old Shatterhand.
    Und ein paar weitere Jahre später war ich der Reiseschriftsteller Karl May.
    Studienräte und Bischöfe haben meine Werke empfohlen.
    Über eine Million Leser haben meine Erzählungen verschlungen.
    May lauscht ins Dunkel.
    In München war wegen der großen Menschenmenge, die sich vor dem Hotel, in dem ich gewohnt habe, angesammelt hatte, die Straßenbahn blockiert.
    May lauscht ins Dunkel.
    In Wien hat mich sogar die Gattin des österreichischen Thronfolgers empfangen.
    Kaiserliche Hoheit, habe ich gefragt, soll ich als Cowboy oder als Schriftsteller die Unterhaltung führen?
    Sie hat sich, will er sagen, aber das schafft seine Zunge kaum mehr, die Erzherzogin, übrigens eine bildschöne Frau, hat sich für den Schriftsteller entschieden.

7
    Erst am Morgen der Ankunft im Hafen von New York trafen sie sich wieder. May hatte wenig Lust gehabt, den Herrn Franz noch einmal aus dem Zwischendeck zu holen. Mit seiner Frau hatte er nicht über den nächtlichen Vorfall geredet. War es möglich, daß er gar nichts bemerkt hatte? – Sie brachte die Sache nicht von sich aus zur Sprache. Nur einmal sagte sie: Was mag jetzt der Herr Franz machen? Darauf hatte Karl keine Antwort gegeben. Er sah so drein, als hätte er die Frage nicht gehört.
    Doch jetzt stand Kafka auf einmal hier neben ihnen. Anscheinend brauchte er gar keinen Herrn Burton, um aus seiner Unterwelt heraufzukommen. Stand da, die Melone auf dem Kopf und den Koffer in der Hand. Dünn wie ein Gespenst. Überzieher und Hosenbeine flatterten im Wind.
    Frau Klara erschrak fast. – Oh, der Herr Franz, sagte sie. Wie gehts?
    Danke, sagte er. Den Verhältnissen entsprechend.
    May sagte nichts, sondern schaute geradeaus.
    Es war noch halb dunkel. Von der Freiheitsstatue war vorläufig nichts zu sehen.
    Kafka räusperte sich. May ließ sich nicht ablenken. In seinem Kopf stimmte sich ein Orchester auf e-Moll ein. Die Streicher, das Horn, die Oboen, die Pauke, die Trompete. Sowie die Freiheitsstatue in Sicht kam, würden sie loslegen.
    Was werden Sie tun, Herr Franz, sobald Sie an Land sind?
    (Irgendwas
, dachte Frau Klara,
muß
man doch sagen.)
    Ich weiß es nicht, sagte Kafka. Keine Ahnung.
    (Die Vorstellung, zwischen zwei Reihen hoher, förmlich abgehackter Häuser, in einem wahrscheinlich rauhen Wind, der Herbst- oder Flugblätter vor sich her blies, auf einen Fluchtpunkt zuzutreiben, war ihm ausgesprochen unangenehm.)
    Wir könnten uns doch noch zu einem netten Abendessen in New York treffen.
    (Frau Klara wollte jetzt einfach wissen, woran sie war.)
    Das wird sich kaum machen lassen, sagte ihr Mann. Er liebe die großen Städte nicht. Er wolle sich dort nur möglichst kurz aufhalten.
    Nach einer ausgedehnten elegischen Einleitung, die ungemein differenziert instrumentiert ist, setzt im Horn das Allegro molto mit dem Hauptthema ein. Dieses wird von der Oboe, den Streichern und schließlich fortissimo vom ganzen Orchester aufgegriffen. Die zweite Themengruppe in den Flöten und Oboen geht auf eine indianische Tanzweise zurück. Als Nachsatz erscheint eine Flötenmelodie, die nach C-Dur wendet und in ihrer eigenwilligen Rhythmisierung ebenfalls an indianische Ursprünge erinnert.
    Kafka räusperte sich neuerlich (man konnte das auch auf die Empfindlichkeit seiner Atemwege zurückführen). Die Luft war noch kalt, man sah den Hauch vor dem Mund. Natürlich hatte er das Gefühl, etwas zu May sagen zu müssen. Aber es ist nicht leicht, mit jemandem zu sprechen, der einen partout nicht ansieht.
    Starr blieb Mays Vaterblick auf die Freiheitsstatue gerichtet. Das heißt auf den Punkt, an dem sie gleich auftauchen mußte. 93 Meter hoch (exakt: 47 der Sokkel und 46 die Dame). Es stand zu befürchten, daß sie womöglich doch ein Schwert in der Hand hielt statt der Fackel.
    May nahm Kafka ganz einfach nicht zur Kenntnis. Sollte er das Orchester in seinem Kopf mit dem ersten Satz beginnen lassen, wie es sich gehörte, oder beim Anblick der Statue den grandiosen Schlußsatz vorwegnehmen? Allegro con fuoco: Zuerst klingt es ja so, als wollte das Orchester ein Pferd imitieren, das, wild sich schüttelnd, seinen Reiter im nächsten oder spätestens im übernächsten Moment abwirft. Doch dann obsiegt schmetternd und triumphal die Trompete.
    Aber was hätte Kafka sagen können? –: Verehrter Herr May, vielleicht ist das alles ein Mißverständnis? Natürlich schätze ich Ihre liebe Frau und will auch nicht verhehlen, daß mich die
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