Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Ende einer Geschichte

Vom Ende einer Geschichte

Titel: Vom Ende einer Geschichte
Autoren: Julian Barnes , Pößneck GGP Media GmbH
Vom Netzwerk:
Mailbox stehen und las es ab und zu wieder durch. Hätte ich mich nicht für die Einäscherung und das Verstreuen der Asche entschieden, so hätte ich den Satz als Grabspruch auf einem Stein- oder Marmorblock nehmen können: »Tony Webster – er hat nichts kapiert«. Aber das wäre zu melodramatisch, ja sogar selbstmitleidig. Wie wär’s mit »Jetzt ist er auf sich selbst gestellt«? Das wäre besser, wahrer. Vielleicht bleibe ich auch bei: »Every Day is Sunday«.
    Manchmal fuhr ich wieder zu dem Laden und der Kneipe. Dort empfand ich immer ein Gefühl der Ruhe, wie komisch das auch klingen mag; und das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, vielleicht das letzte richtig Sinnvolle meines Lebens. Wie zuvor dachte ich nie, ich würde meine Zeit verschwenden. Genau dazu könnte meine Zeit jetzt da sein. Und beides waren freundliche Orte – jedenfalls freundlicher als die in meiner Nachbarschaft. Ich hatte keinen Plan: Das war nichts Neues. Ich hatte schon seit Jahren keinen »Plan« mehr. Und das Wiederaufleben meiner Gefühle – wenn man es denn so nennen konnte – für Veronica zählte wohl kaum als Plan. Eher als eine flüchtige, morbide Regung, ein Nachtrag zu einer kurzen Geschichte der Demütigung.
    Eines Tages sagte ich zu dem Kellner: »Ob Sie mir zur Abwechslung mal dünne Pommes machen könnten?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Na, so wie in Frankreich – die dünnen.«

    »Nein, die machen wir nicht.«
    »Aber auf der Speisekarte steht doch, Ihre Pommes sind von Hand geschnitten.«
    »Ja.«
    »Dann können Sie die doch auch dünner schneiden.«
    Die übliche Liebenswürdigkeit des Kellners war einstweilen verflogen. Er sah mich an, als wisse er nicht recht, ob ich ein Pedant war oder ein Idiot oder womöglich beides.
    »Von Hand geschnittene Pommes heißt dicke Pommes.«
    »Aber wenn Sie die Pommes von Hand schneiden, könnten Sie die doch auch dünner schneiden?«
    »Wir schneiden die nicht. Die kommen so hier an.«
    »Sie schneiden sie nicht hier im Haus?«
    »Das sagte ich gerade.«
    »Dann wird das, was Sie ›von Hand geschnittene Pommes‹ nennen, in Wirklichkeit woanders geschnitten, und womöglich von einer Maschine?«
    »Kommen Sie von der Behörde oder was?«
    »Keineswegs. Ich wundere mich nur. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ›von Hand geschnitten‹ ›dick‹ bedeutet und nicht ›naturgemäß von Hand geschnitten‹«.
    »Tja, jetzt wissen Sie’s.«
    »Tut mir leid. Ich hab das einfach nicht kapiert.«
    Ich zog mich an meinen Tisch zurück und wartete auf mein Essen.
    Und dann, einfach so, kamen alle fünf herein, begleitet von dem jungen Betreuer, den ich bei Veronicas Auto gesehen hatte. Der Ansteckermann blieb stehen, als er an meinem Tisch vorbeikam, und verneigte sich vom Nacken aus; ein paar Anstecker an seinem Sherlock-Holmes-Hut klimperten leise aneinander. Die anderen folgten ihm.Als Adrians Sohn mich sah, drehte er mir die Schulter zu, als wolle er mich – und das Unglück – von sich fernhalten. Die fünf gingen ans andere Ende des Raums, setzten sich aber nicht. Der Sozialarbeiter ging an die Theke und bestellte Getränke.
    Mein Seehecht mit von Hand geschnittenen Pommes kam, Letztere in einer mit Zeitungspapier ausgeschlagenen Blechschale serviert. Vielleicht hatte ich in mich hineingelächelt, als der junge Mann an meinem Tisch auftauchte.
    »Darf ich Sie kurz stören?«
    »Aber gern.«
    Ich deutete auf den Stuhl gegenüber. Als er sich setzte, bemerkte ich über seine Schulter hinweg, dass alle fünf zu mir hersahen und sich an ihren Gläsern festhielten, ohne zu trinken.
    »Ich bin Terry.«
    »Tony.«
    Wir gaben uns im Sitzen die Hand, also unbeholfen und auf Ellbogenhöhe. Er schwieg erst mal.
    »Ein paar Pommes?«, bot ich an.
    »Nein, danke.«
    »Haben Sie das gewusst – wenn auf einer Speisekarte ›von Hand geschnittene Pommes‹ steht, dann heißt das einfach nur ›dick‹, es heißt nicht, dass sie tatsächlich von Hand geschnitten sind?«
    Er sah mich ungefähr so an wie der Kellner.
    »Es geht um Adrian.«
    »Adrian«, wiederholte ich. Warum hatte ich mich nie gefragt, wie er hieß? Und wie hätte er auch anders heißen können?
    »Es verstört ihn, dass Sie hier sind.«
    »Das tut mir leid«, antwortete ich. »Das will ich nunganz und gar nicht. Ich will niemanden mehr verstören. Nie und nimmer.« Er sah mich an, als habe er den Verdacht, das sei ironisch gemeint. »Schon gut. Er wird mich hier nicht mehr sehen. Ich esse noch auf und dann bin ich weg, und keiner
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher