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Vom Ende einer Geschichte

Vom Ende einer Geschichte

Titel: Vom Ende einer Geschichte
Autoren: Julian Barnes , Pößneck GGP Media GmbH
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der Straße mit der Kneipe und dem Laden und parkte dort. Ich wartete, ging in den Laden und kaufte ein paar Sachen, wartete noch ein bisschen, fuhr wieder nach Hause. Ich hatte absolut nicht das Gefühl, meine Zeit zu verschwenden: eher im Gegenteil – dafür war meine Zeit jetzt da. Und überhaupt erwies sich der Laden als durchaus nützlich. Es war einer von der Sorte, die alles in einem sind, vom Feinkostgeschäft bis zum Haushaltswarenladen. Im Laufe der Zeit kaufte ich Gemüse und Spülmittel, Aufschnitt und Klopapier; ich benutzte den Geldautomaten und deckte mich mit alkoholischen Getränken ein. Nach ein paar Tagen wurde ich begrüßt wie ein alter Freund.
    Einmal überlegte ich, ob ich zum Sozialamt des Bezirks gehen und mich erkundigen sollte, ob es ein Heim mit offener Betreuung gebe, in dem ein mit Ansteckern behängter Mann untergebracht sei; aber ich glaubte nicht, dass mich das weiterbringen würde. Ich würde schon bei der ersten Frage versagen: Warum wollen Sie das wissen? Ich wusste nicht, warum ich das wissen wollte. Aber wie gesagt, ich hatte keine Eile. Es war so ähnlich wie keinen Druck auf das Gehirn auszuüben, damit es eine Erinnerung wachruft. Wenn ich keinen Druck auf – was eigentlich? – die Zeit ausübte, kam womöglich etwas, vielleicht sogar eine Lösung, zum Vorschein.
    Und kurz darauf fiel mir dann eine Bemerkung ein, die ich mit angehört hatte. »Nein, Ken, keine Kneipe heute.Freitags ist Kneipenabend.« Also fuhr ich am nächsten Freitag wieder hin und setzte mich mit einer Zeitung ins William IV . Das war so eine Kneipe, die sich aus wirtschaftlichem Zwang gentrifiziert hatte. Es gab eine Speisekarte mit allerlei vom Holzkohlengrill, einen Fernseher, auf dem leise der BBC – Nachrichtenkanal lief, und überall hingen Kreidetafeln: Eine machte Reklame für den wöchentlichen Quizabend, eine andere für den monatlichen Buchclub, eine dritte für die nächsten Sportsendungen im Fernsehen, und auf einer vierten stand ein epigrammatischer Gedanke für den Tag, zweifellos aus irgendeinem Geschenkbändchen mit klugen Sprüchen abgeschrieben. Ich trank langsam ein kleines Bier nach dem anderen und löste dabei das Kreuzworträtsel, aber niemand kam.
    Am zweiten Freitag dachte ich: Ich kann doch gleich hier zu Abend essen, und bestellte mir den Seehecht vom Holzkohlengrill mit von Hand geschnittenen Pommes und ein großes Glas chilenischen Sauvignon Blanc. Es war ganz und gar nicht schlecht. Dann, am dritten Freitag, als ich gerade meine Penne mit Gorgonzola-Walnusssoße in mich hineinstopfte, kam der Schiefe mit dem Schnurrbärtigen herein. Sie setzten sich ungezwungen an einen Tisch, während der erkennbar an ihre Bedürfnisse gewöhnte Kellner jedem ein kleines Bier brachte, an welchem sie dann meditativ nippten. Sie schauten sich nicht um und suchten schon gar keinen Blickkontakt; und im Gegenzug nahm niemand Notiz von ihnen. Nach etwa zwanzig Minuten erschien eine mütterliche dunkelhäutige Frau, ging an die Theke, zahlte und geleitete die beiden Männer freundlich hinaus. Ich beschränkte mich aufs Beobachten und Warten. Time was on my side, yes it was. Manchmal sagt so ein Song die Wahrheit.

    Ich wurde nun Stammgast in der Kneipe und Stammkunde im Laden. Dem Buchclub trat ich nicht bei und nahm auch nicht am Quizabend teil, aber ich saß regelmäßig an einem kleinen Fenstertisch und aß mich durch die Speisekarte. Worauf hoffte ich? Womöglich darauf, dass ich irgendwann mit dem jungen Sozialarbeiter ins Gespräch käme, den ich am ersten Nachmittag als Begleiter der fünf gesehen hatte, oder vielleicht sogar mit dem Ansteckermann, der mir der Aufgeschlossenste und Zugänglichste von allen zu sein schien. Ich übte mich in Geduld, ohne mir dessen bewusst zu sein; ich zählte die Stunden nicht mehr; und dann, eines frühen Abends, sah ich alle fünf anmarschieren, von derselben Frau beaufsichtigt. Irgendwie war ich überhaupt nicht überrascht. Die beiden Stammgäste kamen in die Kneipe; die anderen drei gingen mit der Betreuerin in den Laden.
    Ich stand auf und ließ meinen Kuli und die Zeitung auf dem Tisch liegen zum Zeichen, dass ich wiederkommen würde. Am Ladeneingang nahm ich mir einen gelben Plastikkorb und schlenderte langsam umher. Die drei drängten sich am Ende eines Ganges vor einem Regal mit Geschirrspülmitteln und diskutierten gewichtig, welches sie kaufen sollten. Es war eng dort, und beim Näherkommen sagte ich laut »Entschuldigung«. Der Schlaksige mit
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