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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest
Autoren: Rainer Nikowitz
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Vorverurteilung herauslesen?»
    «Glaubst du eigentlich, dass er es damals gewesen ist?»
    «Keine Ahnung. Aber einer von den drei wird’s wohl gewesen sein. Warum wäre sonst nach drei Feuern Schluss gewesen? Wenn ein richtiger Psycho mit dem Zündeln anfängt, macht der doch so lange weiter, bis sie ihn erwischen, oder? Na, jedenfalls: Ja, den Palenak gibt’s natürlich noch. Und es geht ihm sogar viel besser als früher. Jetzt, wo Bio modern ist.»
    Bio, dachte Suchanek. Und dann: Grün. Und dann weiter: Gras!
    «Du, übrigens», formulierte er das Ergebnis dieser beeindruckenden Assoziationskette, «ich hab nichts mehr zu rauchen.»
    «Alles weg? Alter Schwede! Was sagt der Tierschutzverein dazu, dass du dein Pferd zudröhnst?», feixte Grasel. «Gut, ich sag dir was: Du kriegst noch was. Aber nur, wenn du jetzt die Stellung hältst und mir morgen eine packende Nacherzählung dieser unerhörten Ereignisse der jüngeren Wulzendorfer Geschichte gibst. Ich muss um sieben die Tankstelle aufsperren. Ich geh wieder schlafen.»
    Suchanek überlegte scharfsinnig, was jetzt zu tun sei. Er konnte sich einen Fauteuil zur Balkontür schieben und mit dem Präzisionsfeldstecher seines Vaters einen auf «Fenster zum Hof» machen, minus Gipsbein. Sein Vater hatte sich das Binokular im Wert des Budgetdefizits eines afrikanischen Kleinstaates während jener kurzen Phase gegönnt, in der er auf der Suche nach einem Hobby, das ihm einen Vorwand lieferte, möglichst lang nicht zu Hause sein zu müssen, auf die Ornithologie verfallen war. Sein erster selbst gewählter Forschungsauftrag widmete sich damals der Dokumentation der durch die Intensiv-Landwirtschaft gefährdeten Population der pannonischen Heidenschnepfe. Nach intensiven zweieinhalb Wochen Feldforschung in der aufregenden Ebene um Wulzendorf hatte sein Vater allerdings zweifelsfrei festgestellt, dass die Population der pannonischen Heidenschnepfe keineswegs gefährdet war. Sie war vielmehr weg. Und nachdem er eine weitere Enttäuschung mit dem gefleckten Kiefernhäher vermeiden wollte, vergammelte sein Feldstecher fortan im Kasten. Bloß, in welchem?
    Nein. Bis Suchanek den gefunden hatte, saßen die tapferen Feuerwehrmänner längst beim vierten Bier und besprachen ihre übermenschlichen Leistungen bei der Rettung eines noch unversehrten Strohhalms. Außerdem konnte er hier ja nicht hören, was da drüben so geredet wurde. Und Suchanek fasste einen Entschluss, von dem er in diesem Moment natürlich noch nicht wusste, dass er ihn in den folgenden Tagen noch deutlich mehr bereuen würde als beim einzigen Mal in seinem Leben, bei dem er die Frage gehört hatte: «Kommst noch rein auf einen Kaffee?» geantwortet zu haben: «Ich vertrag keinen Kaffee.»
    Er würde jetzt dort hingehen und sich das Ganze aus der Nähe ansehen.
    Kurze Zeit später stellte er auch schon fest, dass die Brennnesseln beim Bahndamm immer noch mannshoch waren und seit seiner Kindheit durch Klimawandel, sauren Regen, Ozon oder Feinstaub keineswegs an Schärfe eingebüßt hatten. Suchanek begann, die Sinnhaftigkeit all dieser Erfindungen ernstlich in Frage zu stellen. Doch einen Suchanek, der sich ein paar Gramm Gras verdienen wollte, hielt so schnell nichts auf. Ohne Sauerstoff überstieg er den Bahndamm, schlug eine ansehnliche Schneise durch das Getreidefeld links vom Kaiszer und stand dann vorm Graben. Er war jetzt schon ganz nah beim Feuer und konnte sehen, wie eben ein Feuerwehrauto in Mantlers Hof einbog. Außerdem hatten sich in der Zwischenzeit sicher zehn weitere Schaulustige eingefunden.
    Über den Graben war er früher immer locker drübergesprungen. Und es war ja nun nicht so, dass er den wortlosen und vor allem sehr langen Blick vom Dreier-Kanschitz, dem Nachbarn vom Mantler, auf seinen schlammigen Fuß, an dem ein Schuh fehlte, ausgesprochen geschätzt hätte. Aber statt ihm zu erklären, dass sich der Schuh überraschend weit weg vom Ufer und überraschend tief im ziemlich grundlosen Grund des Grabens mit dem Gedanken an ein Seemannsbegräbnis anzufreunden begann, ging der Suchanek lieber gleich in medias res und sagte gewandt: «Ein so ein Feuer, ha?»
    Kanschitz ließ seinen Blick weiter auf Suchaneks Fuß ruhen und sagte: «Ja. Und der Mantler nicht da.»
    Tatsächlich. Man hätte ja doch erwarten können, dass der Feuerwehrhauptmann seine Truppen gerade bei einem Feuer am eigenen Hof höchstselbst befehligen würde. Aber unter den Männern, die Overalls in der Farbe von vorverdautem
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