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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest
Autoren: Rainer Nikowitz
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Hansi-Burli hatte seinen noch. Aber halt auch genauso einen in der Birne wie der Heinz.
    Dass der Ladinger Heinz den Unfall, den die beiden knapp vor Bernhardsau hatten, überlebte, der Hansi-Burli aber nicht, bestätigte den Wulzendorfern die Richtigkeit zweier Überzeugungen, die sie eh immer schon gehegt hatten:
    Tu niemals irgendwem einen Gefallen.
Scheiß-Bernhardsäue.
    «Wir Ledigen haben eine böse Verletzungsserie zu verkraften», sagte Grasel. «Der Nidetzky Markus hat’s irgendwie im Knie, Meniskus oder was. Unser Tormann, der Miletic Franzi, hat unlängst beim Holzmachen in die Kreissäge gegriffen. Und den Spakowitsch Edi hat’s überhaupt am schlimmsten erwischt. Der hat vor drei Monaten zum zweiten Mal geheiratet, der Depp.»
    Suchanek schwante ganz Übles.
    «Wir bringen nicht einmal elf Leute zusammen, das war noch nie da. Also: Was ist mit dir?»
    «Ich? Also nein, echt nicht. Ich hab ewig nicht mehr Fußball gespielt. Und rennen ist sowieso nicht meins.»
    «Dann spiel halt im Tor. Das ist nicht anstrengend. Eine Stunde herumstehen und ab und zu den Ball aus dem Netz holen.»
    «Ja, klar. Ich wäre die glatteste Vorgabe aller Zeiten.»
    «Ist doch egal. Es geht nur um den Spaß.» Grasel ließ das Sackerl mit der greifbaren Rettung für Suchaneks unmittelbare Zukunft zwischen Zeige- und Ringfinger tanzen. «Hilfst du mir, helf ich dir», sagte er und zog die Augenbrauen hoch.
    Als Suchanek wieder ins Auto stieg, Grasels Sackerl an seinem Herzen tragend, stellte er fest, dass der Hund auf die Rückbank gepinkelt hatte.
    Er war nicht überrascht.

[zur Inhaltsübersicht]
3
    Der Radiowecker, den sein Vater einmal bei einer Prämienrunde im Fußball-Toto gewonnen hatte – wobei sie ihm das Ding in Wirklichkeit ja zum Dank dafür geschenkt hatten, dass er dreißig Jahre lang Woche für Woche mit bewundernswerter Konsequenz bewiesen hatte, dass er von Fußball nichts verstand –, klappte auf 3 . 28  Uhr, als Suchanek mit einer anmutigen finalen Streichelbewegung den letzten Joint des Tages fertigstellte.
    Wenn es stimmt, dass jeder, so unfähig er ansonsten sein mag, dennoch irgendetwas besonders gut kann – ob es nun das Reparieren eines Formel- 1 -Vergasers ist oder das Lösen einer kilometerlangen mathematischen Formel oder das Melken von Kobras im laotischen Dschungel –, dann manifestierte sich Suchaneks gottgegebenes singuläres Talent im Drehen von perfekt konischen, in ihrer schlanken Anmut selbst die hartgesottensten Stamminsassen eines Coffee-Shops in Amsterdam zu Beifallsstürmen hinreißenden Joints. Suchanek musste allerdings einräumen, dass es sich hierbei eher um ein Orchideenfach unter den Talenten handelte. Das Sackerl vom Grasel war jetzt jedenfalls leer. Er würde morgen Nachschub brauchen.
    Suchanek ging auf den Balkon. Schließlich würde es seine Mutter unter Garantie riechen, wenn er im Haus rauchte. Seine Mutter würde allerdings wahrscheinlich sogar riechen, dass er im Haus ausgeatmet hatte, nachdem er auf dem Balkon geraucht hatte. Er zündete den Joint an, traf ihn dabei immerhin schon beim zweiten Versuch und sog den Rauch tief ein. Wulzendorf wurde schlagartig wieder ein Stück schöner.
    Die Aussicht vom Balkon hatte sich in den Tausenden Stunden, in denen der junge Suchanek auf der geistigen Flucht vor Schulaufgaben, nützlichen Verrichtungen in Haus und Hof oder sinnvollen Gedanken jeder Art hier ins Leere gestarrt hatte, unauslöschlich in sein Hirn geätzt. Suchanek schloss die Augen, um sich zu beweisen, dass er sie tatsächlich immer noch auswendig konnte.
    Hinter dem Gartenzaun seiner Eltern kam der Bahndamm. Daran anschließend stand, eingerahmt von zwei kleinen Äckern, das Haus des alten Kaiszers. Der alte Kaiszer war die erste Leiche gewesen, die Suchanek jemals gesehen hatte. Kaiszer hatte es hochgradig unfair gefunden, dass seine Verdienste für Führer, Volk und Vaterland im Alter nicht mit einer Zusatzpension, sondern mit einem Darmkarzinom vergolten worden waren, und sich beleidigt im Schuppen aufgehängt. Suchanek war genau hier gestanden, wo er jetzt stand, als sie ihn raustrugen und in die Blechwanne legten. Nach Kaiszers Haus kam der Graben und dahinter der Pappelwald am Ortsanfang und quasi die Rückseite der Hauptstraße. Man konnte also zumindest einigen der Bauern, die dort aufgefädelt waren, in die Höfe schauen. Dem Einser-Neuhold, dem Dreier-Kanschitz und dem Fünfer-Mantler, bei dem vor zwanzig Jahren oder so die Scheune gebrannt hatte.
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