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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest
Autoren: Rainer Nikowitz
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mit einem Loch in der Mitte mehr oder minder kunstvoll an seiner Kopferweiterung befestigt.
    «Nein», sagte Schneckerl, fischte den Doppler aus dem Wasser und nahm einen Erwachsenenschluck. «Seit dem Atom nicht mehr.»
    Suchanek widerstand der Versuchung, mehr über die Beziehung zwischen den Wulzendorfer Fischen und dem Atom als solchem herausfinden zu wollen. Mit einem Gesprächspartner wie dem Schneckerl konnte man ja leicht einmal vom Hundertsten ins Tausendste geraten.
    «Schöne Sachen hast du da», sagte er stattdessen und zeigte auf Schneckerls Hut. Der nahm ihn ab – darunter waren übrigens nicht nur keine Schneckerln, sondern eigentlich überhaupt keine Haare, die den Namen verdienten – und betrachtete ihn stolz.
    «Das Rapid-Wappen hat mir noch der Hansi Burli gegeben. Die Wandernadeln sind alle von der Gerstmeierin, die rennt immer auf den Bergen herum. Das da hat der Bertl aus dem Wasser geholt, und die Münze ist vom Pfarrhofer. Aus Dubai. Oder Dschibuti? Wurscht! Ist eh dasselbe!»
    Er setzte sich den Hut wieder auf, griff zur Flasche und streckte sie Suchanek entgegen: «Da. Trink!»
    Suchanek schüttelte den Kopf. «Ich wollte nur kurz Hallo sagen. Ich muss jetzt weiter.»
    Während er die Böschung wieder hochkletterte, hinter sich den Hund, dessen Gemütszustand langsam von beleidigt in beißbereit zu kippen begann, stimmte Schneckerl «Hoch auf dem gelben Wagen» an.
    Nun stellte sich aber Suchanek sofort das größte Hindernis in den Weg, das es für ihn in Wulzendorf gab: der Bahnübergang. Unbeschrankt und unberechenbar wie eh und je. Es war damals natürlich die Schuld seiner blöden Schwester gewesen, dass Suchanek fast vom Zug überfahren worden wäre. Wie immer hatte er sie an diesem Tag zum Bahnhof begleiten wollen. Sie waren aber etwas spät dran gewesen, und als die schlichte Streberseele es tuten gehört hatte, war sie Suchanek einfach davongerannt, um bloß nicht den Zug und damit den Unterrichtsbeginn in der Volksschule Bernhardsau zu verpassen. Klar, dass sie mit neun ohnehin schon um einiges schneller gewesen war als er mit fünf – oder auch jetzt mit 33 . Und dann noch die Schuhe.
    Seine Mutter, eine vorbildlich sparsame Frau, hatte es sich in der Zeit von Suchaneks zweifellos kostenintensivem Fußwachstum zur Gewohnheit gemacht, seine stets durchfallbraunen Hausschuhe hinten aufzuschneiden, sobald sie ihm zu klein geworden waren, und den Fuß dann in aller Ruhe noch um eine Nummer weiterwachsen zu lassen. Dann erst wurde das nächste Paar gekauft. Und in diesen Eigenbau-Sprintraketen legte sich der Suchanek mit zwanzig Tonnen Stahl an.
    Das panisch verzerrte Gesicht des Lokführers angesichts des kleinen Buben, der eine halbe Ferse hinter seinen Hauspatschen und zwei Meter vor dem Zug über die Gleise gewieselt kam, würde Suchanek nie vergessen. Als der brave Mann dann nach seiner Notbremsung, die natürlich ohnehin viel zu spät gekommen wäre, aus dem Zug geklettert war, hatte er sich zumindest schon wieder so weit gefangen, dass er Suchanek eine knallen konnte.
    Suchanek blieb vor den Gleisen stehen, schaute links, schaute rechts. Kein Zug zu sehen. Andererseits war auch nicht wirklich damit zu rechnen gewesen, dass man die schon vor Jahren eingestellte Bahnlinie extra für ihn revitalisiert hatte. Er überwand die Gefahr mit zwei schnellen Schritten und behielt das Tempo angesichts des nunmehr schon sehr nahen Volksfestgeländes gleich bei. Über den Fußballplatz hinweg konnte er schon das Bierzelt sehen. Das war aber auch nicht allzu schwierig, denn das Zelt war ungefähr so groß wie der Petersdom.
    «Action, Spannung, Spaß! Treten Sie näher, steigen Sie ein! Drei Mal fahren – und nur vier Mal zahlen!», überbrüllte irgendein Schausteller den Uffta-Uffta-Trotteltechno, der aus ohnehin schon krachend übersteuernden Lautsprechern trenzte. Täuschte sich Suchanek, oder hatte sich an dem Unterhaltungsarsenal, das hier herumstand, seit seiner Kindheit wirklich gar nichts geändert? Autodrom, Karussell, Schiffsschaukeln. Ein Tagada, also so ein horizontales Riesenrad, das sich nicht nur drehen, sondern auch schütteln konnte. Zwei Schießbuden. Eine kleine Spielhalle mit Flippern und so. Und, etwas abseits und trotz der Tatsache, dass das Volksfest erst wenige Stunden alt war, schon jetzt unüberriechbar: zwei Klowägen.
    Ein Transparent über dem Eingang des Bierzeltes kündete davon, dass am Samstagabend, am Siedepunkt des Festes, «Alleinunterhalter Kurt»
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