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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest
Autoren: Rainer Nikowitz
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aufspielen würde. Der Heimeder Kurtl aus dem Ort. Als Referatsleiter für Denkmalschutz auf der Bezirkshauptmannschaft war der Kurtl täglich acht arbeitsreiche Stunden, also von 8 bis 14  Uhr, das Musterbeispiel des seriösen Beamten. Denn obwohl böse Zungen möglicherweise behauptet hätten, dass es neben den Kriegerdenkmälern im Bezirk nur noch Kriegerdenkmäler zu schützen gab – und diese allesamt sowieso grottenhässlich waren –, war das wahrlich keine Aufgabe, die man auf die leichte Schulter nehmen konnte. Nach Dienstschluss indessen durchlief der Kurtl regelmäßig eine erstaunliche Metamorphose. In seinen Adern pulsierte nämlich in Wirklichkeit das Blut eines Latin Lovers mit zwar mittlerweile schon recht ausufernder Stirnglatze und einem weichen Endvierzigerbauch, aber, hey! Einmal Latin Lover, immer Latin Lover. Und auch wenn sein Sprachfehler die Suche nach der Liebe seines Lebens erfolglos hatte enden lassen, so hatte er aus dem starken Lispeln doch immerhin eine Showbiz-Tugend gemacht und sich und seine Hammondorgel auf heiße spanischsprachige Rhythmen spezialisiert. Oder was er halt dafür hielt. Es war ja eh egal, denn beim Kurtl klang alles, was er spielte, nach Polka. Aber die vielen gezischten S in den Texten kamen ihm sehr entgegen.
    Nunmehr nahezu im Laufschritt, versuchte Suchanek, unerkannt an der Vorhölle vorbeizukommen. Er hatte es auch schon fast geschafft, als ihm plötzlich der Sechser-Hartl von rechts in die Spur schnitt. Er zerrte ein vielleicht vierzehnjähriges Mädchen hinter sich her, das sich die stark geschminkten Augen zu einem Alice-Cooper-Look verheult hatte und einen Minirock trug, der dort, wo er anfing, eigentlich auch schon wieder aus war.
    Das war ja nun auch so eine besondere Facette im Wulzendorfer Ortsleben. Anderswo beschwerten sich Menschen, wenn man sie als Nummern behandelte. In Wulzendorf hingegen war das das Höchste. Und es stand nur den großen Bauern zu. Der Sechser-Hartl. Der Dreier-Kanschitz. Der Siebzehner-Stratzner. Oder man sagte überhaupt gleich nur: der Vierer. Der Zwölfer. Und wenn einer zu wenige Hektar hatte, war er nicht etwa eine kleine Nummer, sondern gleich gar keine.
    Der Sechser schrie: «Wie die billigste Schlampe … So tust du mir sicher nicht mehr am Volksfest mit den ganzen Gfrastern da herum! Und jetzt hör auf zu heulen oder du fängst gleich noch eine!» Dann bemerkte er den Suchanek und bellte ihn an: «Was ist? Gibt’s da leicht was zu sehen?»
    Suchanek schüttelte eilig den Kopf und schaute weg. Das Schluchzen des Mädchens entfernte sich. Als Suchanek wieder hinsah, bog Hartl mit seiner Tochter gerade um die nächste Ecke und war weg. Suchanek wartete noch eine halbe Minute und ging ihnen dann nach. Nicht etwa, weil er eingreifen wollte oder so. Nein. Er hatte bloß denselben Weg.
    Nach dem Feuerwehrhaus begann die Hauptstraße, und endlich, endlich war Suchanek beim Auto. Erleichtert ließ er sich hinters Steuer fallen. Bis auf den Schneckerl hatte er mit keinem reden müssen. Und der zählte ja eher nicht. Auch der Hund freute sich sichtlich, wieder auf vertrautem Terrain zu sein, und rollte sich auf der Rückbank zusammen. Als sich Suchanek eine Minute später vor dem «Route  66 b» einparkte, Grasels Café, das der in einem seiner bekannt zahlreichen Anfälle geistiger Umnachtung nach der durch Wulzendorf führenden Landesstraße benannt hatte, ließ er den Köter im Auto.
    Der Grasel war vier oder fünf Jahre älter als Suchanek, und bis auf die beiden tiefen senkrechten Falten in seinen Wangen sah er exakt so aus wie vor fünfzehn Jahren. Suchanek war sich sogar beinahe sicher, dass Grasel genau dasselbe angehabt hatte, als sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Hager bis an die Hungergrenze, die Haare von den Schläfen bis hinter die Ohren wegrasiert, hinten allerdings lang und zu einem Zopf zusammengebunden. Dazu ein Batik-Tuch, zu einem Stirnband zusammengezwirbelt. An nahezu jedem Finger inklusive der Daumen Ringe. Einen kunstvoll verknautschten Armreifen. Eine Cargo-Hose und ein Gilet, das nicht viel von dem schmalen, harten Oberkörper verbarg.
    Es soll ja durchaus mehrere Menschen geben, die ihr Styling für cool halten, obwohl eine einigermaßen repräsentative Umfrage möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangen würde. Aber niemand hielt ein Styling, das schon immer uncool gewesen war, so bewundernswert unbeeinflussbar über Jahrzehnte durch wie der Grasel.
    Gäste waren keine in dem Lokal,
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