Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Knochenerbe

Knochenerbe

Titel: Knochenerbe
Autoren: Charlaine Harris
Vom Netzwerk:
Kapitel Eins
     
     
    Das Jahr war noch nicht vergangen, da hatte ich schon an drei Hochzeiten und einer Beerdigung teilnehmen müssen. Ende Mai (während der zweiten Hochzeit, aber noch vor der Beerdigung) gelangte ich zu der traurigen Erkenntnis, dass dieses Jahr wohl das schlimmste meines Lebens werden würde.
    Dabei war die zweite Hochzeit aus meiner Sicht ein glückliches Ereignis. Dennoch schmerzten mir noch am nächsten Tag sämtliche Gesichtsmuskeln von dem angestrengten Lächeln, zu dem ich mich stundenlang gezwungen hatte. Tochter der Braut zu sein konnte sich merkwürdig anfühlen.
    Würdevoll schritten meine Mutter und ihr Bräutigam durch die Stuhlreihen im Wohnzimmer meiner Mutter, traten vor den gutaussehenden Priester der Episkopalkirche – und aus Aida Brattle Teagarden wurde Mrs. John Queensland.
    Mich überkam auf eine ziemlich schräge Art das Gefühl, als wären meine Eltern von zu Hause ausgezogen, und ich sei geblieben. Im Jahr zuvor war mein Vater mit seiner zweiten Frau und meinem Halbbruder Phillip an die Westküste, nach Kalifornien, umgesiedelt. Meine Mutter wohnte zwar weiter in derselben Stadt wie ich, aber auch in ihrem Leben würden sich zukünftig eindeutig neue Prioritäten ergeben.
    Für mich eine große Erleichterung.
    Also schenkte ich John Queenslands verheirateten Söhnen und ihren Frauen ein strahlendes Lächeln. Eine der Frauen war schwanger, meine Mutter würde bald Stiefgroßmutter sein! Ich lächelte Lawrencetons neuem episkopalischem Priester, Aubrey Scott, liebenswürdig zu. Ich bedachte auch Mutters Mitarbeiter aus ihrer Immobilienfirma mit allen äußerlichen Anzeichen meines guten Willens und grinste meine beste Freundin Amina so nachhaltig freudig an, dass sie mir Entspannung befahl.
    „Du musst nicht ununterbrochen lächeln!“, zischte sie mir aus dem Mundwinkel zu, während der Rest ihres Gesichts weiterhin respektvoll und konzentriert der Zeremonie mit der Hochzeitstorte folgte. Folgsam arrangierte ich meine Gesichtszüge neu, bis sie sachlicher wirkten. Amina hatte es geschafft, sich ein paar Tage von ihrem Job bei einer angesehenen Anwaltskanzlei in Houston loszueisen, worüber ich über alle Maßen glücklich war. Später beim Empfang vertraute sie mir jedoch an, dass sie an diesem Wochenende nicht nur wegen der Hochzeit meiner Mutter nach Hause zurückgekehrt war.
    „Ich heirate!“, verkündete sie schüchtern, als wir endlich ein Eckchen gefunden hatten, wo wir ungestört plaudern konnten. „Gestern Abend habe ich es Mama und Paps erzählt.“
    „Du heiratest?“ Ich war fassungslos. „Wen denn?“
    „Roe! Du hörst nie zu, wenn wir miteinander telefonieren!“
    Möglich, dass die eine oder andere Einzelheit an mir vorbeigerauscht war. Amina hatte ständig neue Verehrer und konnte auf eine unglaubliche Datingkarriere zurückblicken, mit der sie im zarten Alter von vierzehn Jahren begonnen hatte und die sie nur einmal kurz wegen einer ebenso kurzen Ehe unterbrochen hatte.
    „Den Kaufhausdirektor?“ Ich schob mir die Brille auf der Nase zurecht, um Amina, die fast einen Meter siebzig groß war, besser sehen zu können. Ich persönlich rühmte mich an guten Tagen einer Größe von einem Meter fünfzig.
    „Nein, Roe“, seufzte Amina. „Es ist der Anwalt aus der Kanzlei gegenüber von unserer. Hugh Price.“ Wie verträumt sie den Namen aussprach!
    Brav stellte ich die obligatorischen Fragen: Wann und wie hatte er um ihre Hand angehalten, wie lange gingen sie schon miteinander, war seine Mutter halbwegs erträglich und so weiter und so fort. Natürlich erkundigte ich mich auch nach Ort und Datum der geplanten Hochzeit. Amina wollte in Lawrenceton heiraten, in dieser Frage war sie Traditionalistin. Aber die beiden wollten mit dem großen Ereignis noch ein paar Monate warten, was ich löblich fand. Aminas erste Hochzeit hatte sehr übereilt stattgefunden, ohne den Segen ihrer Eltern und nur von mir und dem besten Freund des Bräutigams bezeugt, wobei der junge Mann und ich uns nicht gerade als fähige Helfer erwiesen hatten.
    Ich durfte also wieder mal Brautjungfer sein. Amina war nicht die einzige Freundin, die ich zum Altar begleitet hatte, wohl aber die erste, bei der mir die Ehre dann gleich zweimal zuteil werden würde. Gab es eine Regel, wie oft man derselben Braut als Brautjungfer dienen durfte? Würde ich Amina noch als Greisin mit Gehhilfe durch ein Kirchenschiff geleiten?
    Irgendwann verabschiedeten sich Mutter und John auf die ihnen eigene,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher