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Keltenfluch

Keltenfluch

Titel: Keltenfluch
Autoren: Jason Dark
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»Mutter? Mutter? - Bist du da?«
    Das erste Wort hatte Tony Hellman normal laut gerufen, die nächsten beiden schon stärker. Eine Antwort erhielt er trotzdem nicht.
    Im Halbdunkel des Hauseingangs blieb Tony stehen, den Griff der Tür noch festhaltend. Sehr langsam schloss er sie schließlich. Danach wartete er ab. Ein und ausatmen, sich beruhigen. Es würde alles seinen Gang gehen und auch seine Richtigkeit haben. Nur nicht überreagieren. Es gab nichts Unnormales an diesem späten Abend. Es war wie immer. Es hatte sich nichts verändert.
    Tatsächlich nicht? Etwas war schon anders, da konnte Tony denken, was er wollte. Diese Ruhe, die er sich nicht erklären konnte, weil sie anders war als die normale.
    Wie oft war er später nach Hause gekommen, oftmals weit nach Mitternacht. Er hatte seine Mutter stets schlafend im Bett vorgefunden, denn es gehörte zu Tonys Angewohnheiten, wenn er später nach Hause kam, einen Blick in das Schlafzimmer der Mutter zu werfen. Das hatte er auch jetzt vor, und trotzdem tat er es nicht. Statt dessen stand er vor der Haustür und lauschte in die Stille hinein.
    Ja, diese Ruhe. Auch eine Leere. Die Mutter schien das Haus verlassen zu haben. Gleichzeitig hatte sich ihr Geist verflüchtigt, das gute Omen, das Positive, das sie ständig um sich verbreitet hatte. Eine Frau, die mit dem Leben fertig geworden war, trotz ihres Daseins als Witwe. Das alles war nicht mehr vorhanden, denn Tony hatte diese Ausstrahlung auch gespürt, wenn seine Mutter geschlafen hatte.
    Jetzt nicht mehr. Alles war weg. Geblieben war die bedrückende Stille. Sie schien ihn zu warnen und zugleich anzuziehen. Es kam ihm vor, als wäre das Haus durch fremde Kräfte besetzt. Hellman verfolgte den Gedanken lieber nicht. Er wusste, dass es Dinge gab, mit denen er nicht spaßen solle. Es war besser, wenn er sie aus seinen Gedanken verbannte.
    Die Gedanken sollten nicht abdriften. Er wollte sich einzig und allein auf die Mutter konzentrieren. Sie aber war so fern, obwohl Mutter und Sohn stets blendend miteinander auskamen.
    Es hatte keinen Sinn, noch einmal nach ihr zu rufen. Es war besser, die schmale Treppe nach oben zu gehen und in ihrem Schlafzimmer nachzuschauen.
    Zuerst machte er Licht. Normalerweise hätte er aufatmen müssen, als die Dunkelheit verschwunden war. Das tat er jedoch nicht. Ihm kam nicht einmal der Gedanke. Er blieb nahe der Haustür stehen und wartete ab. Es konnte ja sein, dass seine Mutter den Lichtschein bemerkt hatte, weil sie noch nicht schlief. Das wiederum stimmte auch nicht. Sie rief nicht nach ihm, sie war auch nicht aufgestanden, um auf die Treppe zuzugehen, auf deren letzten Stufen sich der Lichtschein verlor.
    Tony schaute sich um. Die kleine Diele. Die schmalen Türen, die zu den Räumen hier unten führten.
    Die Tür zur Küche stand offen. Er konnte die alten Möbel sehen. Selbst ihre Umrisse kamen ihm irgendwie bedrohlich vor.
    Als er sich bewegte, erhielten die Bohlen Druck. Sie knarzten leise, denn es gab keinen Teppich. Hellman durchsuchte die unteren Zimmer nicht, er ging direkt nach oben. Mit jeder Stufe, die er zurückließ, klopfte sein Herz schneller.
    Furcht, dass etwas Schlimmes passiert sein könnte, stieg in ihm hoch. Er ging nicht leise und trat normal auf. Noch immer hoffte Tony, dass seine Mutter ihn hörte, erwachte und auch nach ihm rief. Eine trügerische Hoffnung, die sich nicht erfüllte, und so setzte er seinen Weg fort. Das Geländer schimmerte matt. Er ging dem Halbdunkel entgegen. Schatten hatten sich eingenistet. Der Flur am Ende der Treppe sah so anders aus. Wie von einer anderen Welt umklammert, die noch manch böse Überraschung für ihn bereithielt.
    Am Beginn des Flurs blieb er stehen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Tony fühlte sich wie ein kleiner Junge, der zum erstenmal in einen dunklen Keller tritt und sich davor fürchtet. Wie auch der Junge etwas Schreckliches erwartete, schattenhafte Monstren und ähnliches, so dachte auch er daran, dass etwas in seine Welt eingedrungen war, mit dem er nicht mehr fertig wurde. Das Herz schlug schneller, aber Tony schaffte es, darüber nachzudenken, was da passiert war. Es war ja seine Schuld.
    Er hatte nicht aufgeben können. Er hatte die Warnungen erlebt, sie jedoch als lächerlich abgetan, obgleich er schon wusste, auf welch dünnes Eis er sich begeben hatte. Aber er hatte es nicht anders gewollt. Er hatte nicht aufhören können. Er hatte einfach immer weitergemacht und stand nun dicht vor dem Ziel.
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