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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Slawig
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langsam die Hauptstraße entlang bis zum Hafen.
    Dort liegt eine Yacht an der Mole. Genau wie ich erwartet habe. In der Kajüte brennt schwaches Licht. Ich steige aus, schließe leise die Tür und gehe zum Hafenbecken hinüber.
    Dort bleibe ich stehen. Es hat doch keinen Sinn. Ich weiß ja nicht einmal, ob Eglund wieder zurück und an Bord ist. Ob er nicht immer noch mit Gisela spricht. Vielleicht schrecke ich hier nur einen weiteren Leibwächter auf und werde noch einmal mit der Waffe bedroht. Und selbst wenn er zurück ist, wie soll ich ihn dazu bewegen, mir zu verraten, was Gisela über Adrian gesagt hat? Tief in der Nacht? In meinem simplen, hilflosen Englisch? Den Eglund, von dem Nilsson und Dhanavati erzählt haben, der alles Unerwünschte an sich abprallen lässt?
    Und will ich es denn überhaupt wissen? Was spielt es für eine Rolle, was zwischen Gisela und Adrian geschehen ist? Vor zwei Wochen ist er aus Ljugarn abgereist. Aber er ist nicht nach Hause gefahren. Hätte es da wirklich etwas geändert, wenn ich früher gekommen wäre?

Neun Uhr vormittags, und ich frühstücke zum letzten Mal in Ljugarn. Carl hat mir geholfen, meinen Flug vorzuverlegen – eigentlich hatte ich die Rückreise erst für übermorgen geplant, aber umzubuchen ist billiger, als weitere Übernachtungen zu bezahlen.
    Meine Tasche ist schon gepackt, in einer Stunde muss ich aufbrechen. Carl hat mir frische Hefeschnecken mit Apfelstücken, Brot, Käse und Wurst und Kaffee serviert, doch es fällt mir schwer, etwas zu essen. Meine Hände sind zittrig. Mein Kopf fühlt sich an wie mit Watte ausgestopft.
    Ich habe wenig geschlafen. Als ich ins Hotel zurückgekehrt bin, war mir so kalt, dass mich auch die Bettdecke nicht wärmen konnte. Schließlich habe ich mich tief in der Nacht in Carls Küche geschlichen, Kräutertee gekocht und ihn dort am Küchentisch getrunken. Sicherlich hat Carl am Morgen den benutzten Becher bemerkt. Sicherlich hat er mir auch angesehen, wie schlecht ich geschlafen habe. Doch er hat nichts dazu gesagt. Er wird erraten haben, dass ich Ingela ohne seine Hilfe gefunden habe. Ingela, aber nicht Adrian. Würde ich sonst wieder abreisen?
    Es regnet. Die Wolken hängen so tief, dass es aussieht, als würden sie die Kronen der Pappeln streifen. Auf dem Asphalt stehen Pfützen. In einem kahlen Obstbaum hockt eine Krähe. Selbst sie sieht bedrückt aus.
    Ein Mann kommt die Straße herauf, vom Hafen her. Er trägt eine hellbraune Regenjacke, seine Haare und sein Gesicht sind nass. Eglund. Als er am Fenster vorbeikommt, dreht er den Kopf, als hätte er meinen Blick gespürt. Er zögert und hebt grüßend die Hand.
    Die Außentür klackt. Carl begrüßt ihn auf Schwedisch, sie unterhalten sich munter. Dann kommen sie beide herein.
    »Annika? Dieser Herr würde gern mit dir sprechen.«
    »Über Adrian«, ergänzt Eglund.
    Mein Magen zieht sich zusammen. »Ich muss bald zum Flughafen.«
    »Zeit genug«, sagt Carl und lächelt mir zu. Er scheint zu glauben, dass der Besucher gute Nachrichten bringt. Während Eglund die Jacke auszieht, sie ausschüttelt und über einen dritten Stuhl hängt, geht Carl zur Anrichte und holt eine Kaffeetasse. Er wirft einen Blick auf die Reste meines Frühstücks, fragt Eglund etwas auf Schwedisch und wendet sich dann an mich: »Möchtest du noch etwas?«
    Ich schüttle den Kopf. Carl hebt prüfend die Kaffeekanne an, schenkt Eglund ein und geht hinaus.
    Eglund setzt sich, deutet auf meinen Teller und sagt irgendetwas. Mein Englisch hat mich ganz im Stich gelassen, aber sicher war es irgendeine Floskel. Ich hebe die Schultern. Soll er es sich passend auslegen.
    »Es tut mir leid, dass wir Sie gestern so kurz abgefertigt haben«, sagt er jetzt langsamer. Wir . »Gisela war … schockiert. Gleich zwei Personen, die wussten, wer sie ist.« Er lächelt. Er scheint zu erwarten, dass ich mich mit ihm unterhalte, als hätten wir uns beim Elternabend kennengelernt.
    »Hat sie Angst, dass ich Dhanavati davon erzähle?«, frage ich. Sofort verflüchtigt sich das Lächeln. »Das ist unnötig. Ich werde nicht zu ihr gehen und sagen: Deine Mutter ist gar nicht tot, sie hatte nur keine Lust, sich um dich zu kümmern.«
    Man hört mir die Verachtung an, doch er wirkt nicht verärgert, eher kühl interessiert. »Dann werden Sie Dhanavati anlügen?«
    »Es ist unwahrscheinlich, dass ich sie wiedersehe. Aber wenn ich sie sehe, und wenn wir über Gotland reden, werde ich lügen. Natürlich.«
    »Finden Sie nicht, dass
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