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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Slawig
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still, als wäre Ingela nie hindurchgegangen. Die Haustür hat sich geschlossen, wieder brennt nur hinter den Fenstern links vom Eingang Licht. Im Meditationszimmer.
    Worüber mögen sie reden? Bei diesem Wiedersehen nach dreiundzwanzig Jahren? Und was tue ich jetzt? Warten? Es ist kalt. Hinübergehen, anklopfen und nach Adrian fragen, als wären wir allesamt gute Bekannte und Adrian hätte nur vergessen, mir zu sagen, wann er wen besuchen will? Oder soll ich für heute aufgeben und es morgen neu versuchen? Aber wird Ingela noch einmal herkommen? Jetzt, da Eglund sie gefunden hat? Wird dieser Abschnitt ihres Lebens nicht ab heute beendet sein?
    Meine Beine haben sich in Bewegung gesetzt, ohne mein Zutun. Ich betrete die Wiese und taste mich schrittweise über den holprigen Boden vor, durch das taufeuchte Gras auf die erleuchteten Fenster zu. Sie liegen recht hoch. Zunächst sehe ich nur unruhigen Feuerschein an der Zimmerdecke. Dann bewegt sich ein Hinterkopf in das Bild. Helle Haare, kurz geschnitten. Eglund. Er hält sich etwas ans Ohr, dreht plötzlich den Kopf und verschwindet im nächsten Moment aus meinem Blickfeld.
    Eine Autotür schlägt zu. Hinter mir. Ich wirble herum, ein starkes Licht flammt auf, der Strahl streicht über die Wiese und trifft mein Gesicht. Ich hebe die Hände, um ihn abzuschirmen, mein Herz hämmert, Nilssons Geschichte fällt mir ein, und jemand sagt in meinem Kopf: So macht man es mit Tieren. Erst blendet man sie, damit sie nicht weglaufen. Dann schießt man.
    »Wer ist denn da?«, rufe ich auf Deutsch, dann noch einmal auf Englisch. Niemand antwortet. Das Licht kommt näher, ich höre raschelnde Schritte. »Bitte, wer ist da?«
    »Who are you?«, fragt jemand in meinem Rücken. Ein Mann. Ich fahre wieder herum, aber meine Augen sind geblendet, und vor dem Haus steht eine Wolke aus feinen Tröpfchen, die im Licht des Scheinwerfers schimmern. Ich erkenne nichts.
    »Was tun Sie hier?« Er spricht weiter Englisch. Vermutlich steht er auf der kleinen Veranda. Der Mann mit dem Scheinwerfer hat sich weiterbewegt, das Licht erfasst mich jetzt schräg von rechts. Die Veranda bleibt im Dunkeln.
    »Ich suche Adrian. Adrian Barnes. Ist er hier?«
    Einen Moment herrscht Schweigen, dann sagt er etwas, das ich nicht verstehe. Als ich nicht reagiere, wiederholt er ungeduldig und überdeutlich: »Ihre Hände. Zeigen Sie mir Ihre Hände.«
    Damit er sieht, ob ich bewaffnet bin. Gleich wird sich sein dicker Leibwächter von hinten heranschleichen und mich durchsuchen, während er von der Veranda aus mit einer Pistole auf mich zielt, so wie er Nilsson auf der Landstraße bedroht hat, und wenn ich mich falsch bewege, wenn ihn irgendetwas nervös macht, wird er schießen. Auf dieser stillen Lichtung im schwedischen Wald wird er mich erschießen, und niemand im weit entfernten Eiderstedt wird je erfahren, was mit mir geschehen ist.
    Ganz langsam nehme ich die Hände aus den Jackentaschen und halte sie Eglund hin. Wie ein Kind, das man gefragt hat, ob es sich die Finger gewaschen hat. Eglund sagt etwas, das ich nicht verstehe, der Scheinwerfer erlischt – und im gleichen Moment fängt jemand an zu lachen, irgendwo dort vor mir im Dunkeln. Eine Frau lacht, laut und böse.
    »Look at you!«, ruft sie schrill. Zugleich tritt sie auf die Veranda heraus, die Petroleumlampe in der erhobenen Hand. Endlich erkenne ich wieder etwas, ich sehe Eglund vorn auf der Veranda stehen, halb abgewandt, und hinter ihm steht Ingela und deutet auf seine Hand, auf die Pistole in seiner Hand, und sie lacht und ruft: »You criminal!«
    Was sie danach sagt, kann ich nicht verstehen, sie spricht zu wütend und zu schnell, »you blame me« höre ich heraus, mehrmals, und noch einmal, noch lauter: »You criminal!«
    Dann endet ihr Wortschwall, wie abgeschnitten. Eglund hat sich zu ihr umgedreht, aber er antwortet nicht. Einen Moment lang scheint niemand zu wissen, wie es weitergehen soll.
    »She’s Adrian’s girlfriend«, sagt Ingela sehr viel ruhiger. »She’s been asking for him. Send her away.«
    Sie wendet sich ab. Gleich wird sie im Haus verschwinden und wieder unerreichbar sein.
    »Warten Sie!«, sage ich laut auf Deutsch und mache zwei Schritte auf die Veranda zu. »Einen Augenblick! Ich habe nur eine Frage, dann gehe ich wieder. Ich will nur wissen, wo Adrian ist.«
    Sie ist stehengeblieben, dreht sich nun langsam um und sieht mich zum ersten Mal wirklich an. »I don’t speak German«, sagt sie nach langer Pause.
    Aber ich
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