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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Slawig
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sie es wissen sollte?«
    Da kocht Zorn in mir hoch, und es fällt mir schwer, überhaupt einen Satz zu formulieren. »Warum muss sie das wissen? Wozu? Wollen Sie denn … « Ich bleibe stecken. Noch nie habe ich mich so hilflos gefühlt.
    Eglund wartet höflich ab, ob ich weitersprechen will, dann sagt er, immer noch kühl und sachlich: »Sie war bei mir, weil sie die Wahrheit wissen wollte.«
    »Sie hat nach ihrem Vater gesucht!« Ich atme tief ein und aus und nehme noch einmal Anlauf. »Sie war bei Ihnen. Sie haben sie weggeschickt. Danach ist sie hier hergekommen. Sie hat mit Carl geredet, Carl hat sie zu Gisela geschickt. Wussten Sie das? Dhanavati war bei ihr. Bei ihrer Mutter. Und ihre Mutter hat so getan, als würde sie sie nicht kennen! Das wollen Sie ihr jetzt sagen?«
    In diesem Moment kommt Carl herein und serviert uns frischen Kaffee und einen Teller mit zwei Hefeschnecken. Eglund bedankt sich auf Schwedisch. Ich reiße ein Stück von einer Schnecke ab, kaue und versuche mich zu beruhigen. Wenn dieser Mann tatsächlich so wenig an seiner Tochter interessiert ist, wird er nicht zu ihr fahren. Und wenn doch …
    »Falls Sie vorhaben, sie öfter zu sehen, ist es natürlich etwas anderes«, sage ich, sobald Carl fort ist. »Dann müssen Sie es ihr wohl verraten. Aber dann … «
    »Nein.« Er antwortet ein wenig zu schnell. Dann zögert er und sagt schließlich mit großer Entschiedenheit etwas, das ich nicht verstehe. Als ich den Kopf schüttle, ergänzt er langsamer: »Das würde sie nicht wollen. Unser Treffen in Riga ist nicht eben harmonisch verlaufen.«
    »Na und?« Ich sage es auf Deutsch, eine englische Entsprechung fällt mir beim besten Willen nicht ein.
    »Na und, Annika?«, wiederholt er, ebenfalls auf Deutsch. »Na und?«
    Vielleicht soll es spöttisch klingen, doch dazu sieht er mich zu unverwandt an. Als würde er tatsächlich auf eine Erklärung hoffen.
    »Adrian und ich haben eine Tochter. Nina. Sie ist zwölf. Adrian ist vor drei Monaten weggefahren, seitdem hat er nicht ein einziges Mal angerufen oder geschrieben. Nina hat nichts von ihm gehört. Er war nicht bei ihrem wichtigsten Basketballspiel. Er hat vorher nicht mit ihr geübt. Er hatte ihr versprochen, mit ihr nach Husum zu fahren und eine neue Lampe für ihr Zimmer zu kaufen. Und einen Teppich. Nina sollte aussuchen dürfen. Adrian hatte Geld für eine Bootsreparatur bekommen, davon wollte er es bezahlen. Aber dann ist er weggefahren, und das Geld hat er mitgenommen … «
    All unsere Sorgen fluten auf mich herab. Die Schulden. Das knappe Heizöl. Der lange Winter fast ohne Touristen. Sicher, Dhanavati hat mir das Geld wiedergegeben, das sie von unserem Konto abgehoben hatte – aber jetzt muss ich die Reise bezahlen, Nina braucht neue Winterschuhe …
    Nichts davon geht diesen Mann etwas an. »Sie ist sehr wütend auf Adrian. Aber wenn er jetzt wiederkäme, würde sie ihn doch nicht wegschicken! Sie würde ihn beschimpfen. Aber sie würde ihn nicht wegschicken.«
    »Und Sie meinen, Dhanavati würde mich auch nicht wegschicken?« Er schweigt eine Weile. Dann lacht er, ein wenig verächtlich. »Das kann man kaum vergleichen.«
    »Darum geht es nicht … «
    »Natürlich geht es darum. Außerdem gelten alle anderen Gründe weiter. Ich würde sie in Gefahr bringen. In meinem Leben ist kein Platz für eine Tochter.«
    Du könntest ja auch dein Leben ändern, denke ich, aber plötzlich bin ich es leid. Warum soll denn ausgerechnet ich dieses Problem für ihn lösen? Außerdem hat er recht. Dhanavati ist ohne ihn besser dran. Ohne ihn und diese Mutter.
    »Sie haben gesagt, dass Sie etwas über Adrian wissen.«
    »Richtig. Adrian.« Der Themenwechsel ist ihm offensichtlich willkommen, er setzt sich bequemer hin und schlägt die Beine übereinander. »Er war mehrere Wochen lang hier. Bei Gisela. Er hatte sie einmal sehr gern. Und er wusste schon immer, dass sie noch lebt … Sie scheinen mir nicht überrascht, Annika.«
    »Ich hatte es erraten.« Wieder bleibe ich stecken. Weil mir selbst das englische Wort für Zettel fehlt. »Er hatte etwas aufgeschrieben. Bevor er weggefahren ist. Er wusste, dass sie noch lebt, aber nicht, wo sie wohnt. Also ist er sie suchen gefahren. Dann hat Dhanavati noch einmal etwas im Internet geschrieben und darin Ingela erwähnt. Da muss ihm klar geworden sein, dass Ingela Gisela ist.«
    »Ja.« Er lächelt mir zu, als hätte ich bei einem Rätselspiel eine kluge Antwort gegeben. »Dann wissen Sie sicher auch,
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