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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Slawig
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verziehen?«
    »Von einfach so war nicht die Rede«, sagte Nilsson, und merkte plötzlich, dass er lächelte. Er wandte sich ab und blickte auf die völlig uninteressante gerodete Fläche.
    Hinter ihm war es still. »Ich will das mal glauben«, sagte Eglund dann und stand auf. »Es ist zwar eine verdammt große Überraschung, aber was weiß ich schon von diesem Mädchen. In dem Fall habe ich allerdings einen Rat für Sie.«
    »Ich brauche … «
    »Doch. Diesen brauchen Sie, Jens. Eins wissen Sie nämlich noch nicht: Nandin – Rainer – mein alter Freund – hat meinem Konkurrenten, wie Sie ihn nennen, in den letzten Jahren mehrfach Informationen über Rüstungsprojekte der Bundeswehr geliefert. Forschungsergebnisse zum Beispiel. Ich glaube eigentlich nicht, dass er die gestohlen hat. Die wird ihm wohl jemand gegeben haben. Ihr Chef hat Sie schon einmal für die Machenschaften seines Bruders eingespannt. Inzwischen hat er ein nettes kleines Druckmittel gegen Sie in der Hand. Ihre Reise nach Gotland. Denn ich nehme doch an, dass Ihre Frau nicht weiß, weshalb Sie dort waren? Ihr Chef weiß es mit Sicherheit. Daher mein Rat: Suchen Sie sich einen anderen Job, Jens. Umgehend. Bevor er und sein Bruder Sie in etwas hineinziehen, das man Ihnen nicht mehr so leicht vergibt.«
    Das war alles. Danach haben sie sich getrennt. Eglund und der Dicke fuhren weg, Nilsson kehrte zu Fuß zu seinem Auto zurück, an dem der Reifen inzwischen gewechselt war. Innerhalb von zwanzig Minuten war zwischen ihnen alles geklärt: ein kurzes Gespräch unter Männern, bei dem kein nebensächlicher Satz fiel.
    Und zwei Monate später, bei seinem dritten Besuch in Eiderstedt, hat Nilsson es mir wörtlich wiedergegeben. Ich hatte ihn angerufen, nachdem Dhanavati bei uns in Westerkoog war. Wir hatten uns eine Stunde vor Ladenschluss in Sankt Peter getroffen, waren über den Bohlenweg durch die Salzwiesen zum Strand hinaus und am Wasser entlanggegangen, in der Dämmerung, bis mir kalt wurde und ich vorschlug, im Restaurant im Pfahlbau einen Kaffee zu trinken. Dort saßen wir uns dann gegenüber, in einem zugigen, fast leeren Saal, und Nilsson gab mir Satz für Satz sein Gespräch mit Eglund wieder. Rede und Gegenrede. Ohne Beiwerk, ohne jeden Kommentar. Sein Tonfall war kühl und abwägend, sein Blick sehr konzentriert. Als würde er jede seiner Antworten daraufhin prüfen, ob es nicht eine bessere gegeben hätte.
    Mag sein, dass ich ihm Unrecht tue, aber für mich schwang in dieser Ernsthaftigkeit Bewunderung mit. Dhanavatis Vater hat ihn beeindruckt. Vielleicht nicht durch das, was er tut, aber durch die Art, wie er es tut. Durch seine Lässigkeit und Ruhe. Seine Unangreifbarkeit. Sicherlich ist Nilsson auch stolz darauf, dass es ihm gelungen ist, diesen Mann aus der Fassung zu bringen. Aber vor allem hätte er selbst gern einen so undurchdringlichen Panzer. Eine Haut, an der verwirrende Gefühle abperlen.
    Ich bin ihn leid. Darauf läuft es wohl hinaus. Ich bin es leid, mir verwickelte Geschichten anzuhören, die voller Fakten stecken und das Wesentliche trotzdem aussparen. Glaubt er wirklich, dass man ihn nicht durchschaut, nur weil er einige Dinge verschweigt? Glaubt er, ich wüsste nicht, weshalb er sich noch ein drittes Mal mit mir getroffen hat? Doch nicht etwa, weil er sich für meine läppische Suche nach dem völlig unwichtigen Adrian Barnes interessiert.
    Sondern weil ich die einzige Person auf der Welt bin, mit der er über Dhanavati reden kann. Jedes Detail, das ich von ihrem Besuch bei uns erzählt habe, hat er in sich aufgesogen: wie sie aussah, wo sie übernachtet hat, was sie über die zwei Monate in Värmland erzählt hat. Dass sie nach Århus zurückgekehrt ist, dass sie sich mit ihrer Chefin Maria ausgesöhnt hat, dass sie sich auf Stellen bewirbt, aber noch keine Zusage hat. Dass sie nach Westerkoog gekommen ist, um Adrian die Kreditkarte wiederzugeben und ihre Schulden zu bezahlen. Im Gegenzug hat Nilsson zwar auch meine Fragen nach Ingela beantwortet, aber in welch gelangweiltem Ton. Ohne Neugier, ohne wissen zu wollen, weshalb ich mich nach dieser Frau erkundigte, die seiner Meinung nach nie zur Kommune gehört hat. Was kümmert es ihn, ob ich Adrian wiederfinde oder meine Zeit vergeude. Seinetwegen darf ich gern einem Hirngespinst nachjagen.
    Und nun stehe ich hier auf dem Waldweg, im Dunkeln, nur noch wenige Schritte von meinem Hirngespinst entfernt, aber jemand ist mir zuvorgekommen. Vor dem Haus schwebt der Dunst, so
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