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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Slawig
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erwähnst.«
    »Wieso … «
    »Du kannst dich daran halten oder gehen.«
    Sie hat sich daran gehalten. Wir aßen zu viert in der Küche, danach verschwanden Nina und Jennifer nach oben, und ich begann, Fragen zu stellen. Oberflächliche Fragen nach den Stationen ihrer Reise, die sie höflich beantwortete. In den Pausen sah sie mich an, als würde sie darauf warten, dass ich andere, wichtige Themen ansprach. Aber ich hatte nichts zu besprechen. Nicht mit ihr. Drei Monate lang hatte ich mir vorgestellt, dass Adrian zu ihr gefahren war. Zu seinem ersten Kind, dem, das er sich ausgesucht hatte. Ich hatte mir vorgestellt, dass er glücklich war. Endlich mit der Vergangenheit im Reinen. Im Frieden mit ihrer toten Mutter. Ich war wütend gewesen, ich hatte mich verraten und hilflos gefühlt. Aber ich hatte wenigstens geglaubt, dass ich wüsste, weshalb er fortgegangen war. Und nun stellte sich heraus, dass ich mich geirrt hatte. Er war gar nicht bei ihr gewesen.
    Nachdem sie sich verabschiedet hatte, räumte ich das Geschirr weg, zog Jacke und Schuhe an und ging zum Deich. Den üblichen Weg. Den Weg, den Adrian und ich früher gingen, wenn wir abends oder am Sonntag noch vor die Tür wollten, wenn wir uns erzählten, was sich an diesem Tag ereignet hatte, und planten, was am nächsten zu erledigen war. Dort stand ich dann, allein, und schaute von der Krone des Deichs auf die Bucht. Die Wolken rissen auf, fahles klares Licht breitete sich über die Salzwiesen im Vorland, und jeder Fußbreit Boden begann zu leuchten, in allen Farben des Herbstes. Grün und gelb und ocker und braun.
    So schön, dachte ich, wie ich es an diesem Ort schon oft gedacht habe. Aber mitten in die Worte hinein hörte ich Adrian, wie er sagte: Was für Farben. Und plötzlich sah ich nichts mehr von der Wärme, von dem Leuchten, vor mir lag eine kalte, leere Ödnis, in der Pflanzen faulten und Würmer und Krebse erstarrten. Spät abends dann, als Nina schlief und ich im Wohnzimmer saß, konnte ich spüren, wie die Kälte in alle Winkel kroch, sie besetzte die Nacht, den nächsten Tag, unsere Zukunft. Zum ersten Mal seit Adrians Abreise gestand ich mir ein, wie dünn und schäbig die Hoffnung geworden war, dass er zurückkommen würde, weil er zu uns gehörte. Ich war allein, mit meiner zwölfjährigen Tochter allein, in einem Haus, dessen Fenster und Dachrinnen leckten, dessen Heizölvorrat nicht für den Winter reichen würde, allein und fast ohne Einkünfte, jetzt, da die Urlaubersaison vorbei war. Adrian hatte eine Anzahlung für eine Bootsreparatur erhalten, die Reparatur nicht durchgeführt, aber das Geld auf die Reise mitgenommen – nicht mehr lange, und der Kunde würde es von mir zurückfordern. Ich könnte das Haus verlieren. Ich könnte alles verlieren, was ich Nina und mir aufgebaut hatte, was Adrian und ich uns aufgebaut hatten. Ich könnte alles verlieren, und ich saß da und tat nichts, sah zu, wie die Tage kürzer und dunkler wurden, sah zu, wie sich Nina immer tiefer in ihre eigene Trauer verkroch, saß da und wartete ab.
    In dieser Nacht, dort im Wohnzimmer, habe ich beschlossen, nach ihm zu suchen. Noch einmal alles, was ich wusste, bis in jeden Winkel hinein zu prüfen, in der Hoffnung, eine andere, bessere Antwort darauf zu finden, wohin er gefahren war. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und schrieb alle Orte, Namen und Daten auf, die Dhanavati mir genannt hatte. Am nächsten Morgen rief ich sie an, verabredete ein Treffen in Tönning und ließ sie noch einmal genauer erzählen. Danach holte ich Nilssons Berichte hervor und fand ein Blatt mit Notizen wieder, die ich vor drei Monaten gemacht hatte, als sie alle zu mir kamen und nach Dhanavati fragten. Die ich später weggepackt hatte, weil ich mir gesagt hatte, dass Adrian Zeit brauchte, um mit seiner Vergangenheit Frieden zu schließen, dass es falsch wäre, ihn zu bedrängen. Ich fand auch den Zettel wieder, den ich nach Adrians Abreise neben unserem Computer entdeckt hatte, auf dem in seiner Handschrift stand: Aber wo wohnt sie jetzt? Eine Frage, die ich stets auf Dhanavati bezogen hatte. Ich las alles, wieder und wieder, saß nachts grübelnd im Wohnzimmer, und langsam, fast widerstrebend, nahm eine neue Idee Gestalt an.
    Am nächsten Morgen rief ich Nilsson an und überredete ihn zu einem weiteren Treffen. Ich lieh mir Geld von dem Konto, auf dem Maike und ich gemeinsam für die überfällige Renovierung unseres Ladens sparen. Dann sprach ich mit Nina. Ich erklärte ihr
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