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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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EINS
    Noch war es hell im Saal.
    Der rote Samtvorhang war geschlossen. Lachen, Rufen, Geraune und Getrappel. Immer mehr Leute strömten herein. Die stickige Luft war voll Erwartung und Geheimnis.
    Hinter dem Samt drängte sich die Gruppe an den Spalt in der Mitte, einander stoßend, flüsternd, kichernd. Pilar, kleiner als ihre Schauspieler, sah vom Saal nur einen dreieckigen Ausschnitt, in dem immer neue Gesichter auftauchten und wieder verschwanden. Es roch nach Schminke und Kleidern, die lange im Keller gelegen hatten. Sie spürte, wie die Anspannung um sie herum zunahm. Plötzlich war es aus mit der Beherrschung: Die Darsteller sprangen hoch, die Schuhsohlen polterten auf die Bühne. Die Leute auf der anderen Seite des Vorhangs mussten denken, sie übten einen Tanz.
    »Hey, der Fotograf! Wir kommen in die Zeitung!«
    Auch Pilar hätte einen Luftsprung gemacht, wenn ihr enges Kleid es zugelassen hätte. Halb Bonn schien sich an diesem Samstag in dem Gemeindehaus am Rande des Kottenforstes versammelt zu haben, um die Premiere von »Zwei Mörder und ihr Kommissar« zu sehen. Die Plakate und Handzettel, die sie in Röttgen, Ückesdorf und den Nachbarstadtteilen verteilt hatten, waren die Mühe wert gewesen. So viele Zuschauer hatten sie noch nie gehabt, für eine Laienspielgruppe war der Andrang enorm. Und nun auch noch der General-Anzeiger! Der stadtbekannte Fotograf mit der kastanienbraunen Haarmatte und eine Reporterin, eine blasse junge Frau mit Notizblock in der Hand, schoben sich mit den anderen Besuchern durch die Flügeltür im hinteren Teil des Saals. »Diesmal wird es völlig anders«, hatte Pilar dem Chef der Lokalredaktion am Telefon versichert, um die Sache interessanter zu machen, »was ganz Besonderes.« Letztes Jahr war von der Presse niemand erschienen, und die Enttäuschung war groß gewesen. Diesmal hatte der General-Anzeiger bereits im Vorfeld einen ausführlichen Artikel über sie gebracht, mit einem Foto der zerzausten Pilar neben einer Requisitenkiste, aus der Hüte, Handschellen und Revolver hervorschauten.
    Der Vorhangstoff bewegte sich leicht, der Spalt wurde breiter. So ging es nicht! Die Zuschauer konnten bereits die Gesichter der Schauspieler sehen und womöglich die Kulisse im Hintergrund erkennen. Max und Sarah hatten eine Häuserreihe auf Tapetenbahnen gepinselt, mit bunten Türen und schiefen Fenstern. Tommy, der schon zwanzig war, hatte am Kirchturm ein riesiges Messer aufgemalt, mit dicken Tropfen aus roter Acrylfarbe. »Mach das weg«, hatte Pilar gesagt, aber nicht darauf bestanden, weil Tommy ihr versichert hatte, zum wohligen Krimigruseln gehöre auch Blut.
    »Ab mit euch nach hinten, Leute!«
    Nun kehrte Pilar den Boss heraus und scheuchte die Jugendlichen hinter die Kulisse. Sie waren kostümiert und geschminkt, die Mädchen trugen Perücken. Sarah und Katie konnten auf ihren Stöckeln nicht so schnell laufen, sie schlüpften aus den Schuhen und nahmen sie in die Hände.
    »Hürens, Pilar!«, drang es aus all den Geräuschen an ihr Ohr.
    An der Seite der Bühne zwängte sich die pummelige Küsterin zwischen den Standscheinwerfern, den Lautsprecherboxen und dem dreiteiligen Paravent hindurch, der den Tisch mit der Technik vor den Augen des Publikums verbarg. Den ganzen Aufbau hatte Pilar gestern mit Rita und ihrem Ehemann Dieter in stundenlanger Arbeit gestemmt, ständig befürchtend, dass die Klappelemente der Bühne beim Montieren auseinanderbrechen und die rostigen Ständer aus dem Keller die Scheinwerfer nicht mehr tragen würden.
    »Dohinge treten se sisch jejenseitisch op de Föß«, schnaufte die Küsterin in ihrer melodiösen Mischung aus Bönnsch und Hochdeutsch. »Datt es schlimmer wie morjens en däe Bus. Me bräuschten noch mindestens dreißisch Stöhl.« Ritas Gesicht war himbeerrot. Ein paar Minuten zuvor hatte sie noch nach Maiglöckchen geduftet, jetzt roch sie nur noch nach Schweiß. Sie schaute Pilar herausfordernd an, die fleischigen Arme in die ausladenden Hüften gestemmt. »On watt maache me do?«
    »Habt ihr noch irgendwo Reservestühle?«, fragte Pilar.
    »Net datt klehnste Höckerschen! De Dieter hätt alles herjehollt, watt wie ehn Sitzjelejenheit aussah.«
    Pilar kletterte von der Bühne herunter. An dem lila-schwarz gemusterten Paravent vorbei, den sie von ihrer spanischen Großmutter geerbt hatte, spähte sie in den gut zwei Meter breiten Seitengang bis zur letzten Stuhlreihe, hinter der bereits zahlreiche Zuschauer standen. Manche von ihnen kannte
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