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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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Hand hielt und mit den Fingern knetete. Die Kostüme wirkten fehl am Platz, die geschminkten Gesichter wie traurige Masken.
    »Stimmt das?«
    »Frau Holzbeisser?«
    »Ermordet?«
    Sie fragten im Flüsterton. Sarah, die selten auf einen frechen Kommentar verzichtete, blickte stumm zu Boden und hielt die Hand von Anna, die aus angstvoll geweiteten Augen vor sich hin starrte. Max zog sich die Krempe seines Herrenhutes bis zur Nase herunter, sodass man seine Augen nicht sehen konnte, und Tommy fummelte mit unruhigen Fingern an dem schwarzen Tuch herum, das Teil seines Verbrecherkostüms war.
    Über Katies Wangen rannen Tränen und hinterließen Streifen auf ihrer Schminke. »Wie kann … kann das …« Kleine Gurgellaute erstickten ihre Worte.
    Pilar stand auf und legte ihr den Arm um die Schultern. Sie spürte, wie Katies magerer Körper unter der Kostümjacke bebte, und suchte nach tröstenden Worten, fand aber keine. Stattdessen schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie tatsächlich in die Zeitung kommen würden, nur völlig anders als erwartet. Verdammt, es ist ein Mord geschehen – wie konnte man eine Komödie so anfangen lassen? Pilar verstand nicht, was sie an dem Stück lustig gefunden hatte. Warum war alle Welt so scharf auf Kriminalkomödien? War es nicht die Krone der Geschmacklosigkeit, Mord und Komik miteinander zu vereinen? Warum war ihr das vorher nie aufgefallen?
    Jemand tippte ihr auf die Schulter.
    »Mord im Dunkeln«, dachte Pilar, war ein Spiel, das ihre Söhne früher wahnsinnig witzig gefunden hatten. Was für ein Schwachsinn. Mord im Dunkeln war widerwärtig und gemein.
    Erneut tippte ihr jemand auf die Schulter, diesmal fester. Pilar ließ Katie los und drehte sich um. Vor ihr stand Kevin. Er war von der Bühne heruntergeklettert, und schien sich inzwischen gefasst zu haben.
    »Pilar«, sagte er mit einer Betonung, die ihr vorkam, als wollte er ihr etwas eröffnen, das an Schauerlichkeit weit über diese Minuten des Schreckens hinausging. »Ich hab was gesehen.«
    »Was denn?«, fragte Pilar müde.
    Es war nicht nur das Entsetzen, das sie so fertigmachte. Die Enttäuschung, dass monatelanges Proben und Wochen stressiger Vorbereitung auf so grausige Weise endeten, saß wie ein dicker Stein in ihrer Kehle. Darüber würde sie mit niemandem reden können. Unmöglich. Was waren ein paar Wochen verlorener Zeit schon gegen den Verlust des Lebens? Wie schäbig von ihr, an ihre eigenen Belange zu denken!
    »Das Messer.« Kevins Augen glänzten fiebrig unter dem glatten braunen Haar, die ungeschminkte Stirn war hellrot angelaufen.
    »Was ist los?« Pilar hatte den Fünfzehnjährigen neben sich für ein paar Sekunden vergessen. »Was für ein Messer?«
    »Das in dem weißen Pulli steckt. Von der Frau Holzbeisser.«
    Pilar schüttelte sich. »Hör auf, Kevin.« Sie überwand sich und fügte hinzu: »Wie konntest du das sehen?«
    »Von der Bühne. Erst haben die Scheinwerfer geblendet, aber als sie aus waren, hab ich den Griff des Messers gesehen.«
    »Keine Einzelheiten, bitte. Oder ich kippe um.«
    »Das Messer hat einen roten Griff.«
    »Sicher vom Blu–« Die Stimme versagte ihr.
    »Ich meine rotes Plastik«, erklärte Kevin.
    »Die Farbe ist mir egal«, stöhnte Pilar.
    Typisch Kevin, sich an Nebensächlichkeiten festzuhalten. Aber immer noch besser, als wenn er sich für blutige Details begeisterte.
    »Ich hab es erkannt«, sagte Kevin laut und deutlich, wie er es in den Proben gelernt hatte. »Das Messer.«
    »Na gut«, seufzte Pilar und überlegte, wie sie ihn loswerden könnte.
    »Wieso gut?«, rief Kevin. »Pilar, es ist deines!«

DREI
    Ein leichtes Raunen ging durch die Reihen der Leute, viele drehten sich um. Nadelspitze Blicke trafen ihr Gesicht. Pilar kniff die Augen zusammen. Ihr rotes Messer? Das beste Messer aus dem Hause Scholz? Das durfte nicht wahr sein. Hunderte von Braten, Pasteten, Kuchen und Melonen hatte es in harmlose Scheiben und Stücke geschnitten. Ein hervorragendes Messer, das gut in der Hand lag und vielseitig einsetzbar war, ein Geschenk ihrer Schwiegermutter Edith, die es, als sich ihr Haushalt verkleinerte, nicht mehr brauchte und Pilar eingeschärft hatte, es sorgsam zu behandeln. Mehrere Jahrzehnte hatte es in Ediths Küche gute Dienste geleistet, Weihnachts- und Osterfeste, Taufen, Geburtstage und Hochzeiten mitgefeiert, um nun so schändlich … Ach was, sagte sich Pilar, in Bonn gab es noch tausend andere rote Messer!
    »Ist tatsächlich ein roter Griff«,
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