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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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sie näher, andere nur vom Sehen. Ihre Nachbarin, die stets lächelnde Frau Winter, war darunter, und weiter zum Gang hin leuchtete die helle Wellenfrisur einer Lehrerin vom Gymnasium, mit der Pilar eine peinliche Erinnerung verband. Und nun hatte die Frau nur diesen schäbigen Stehplatz! Links von ihr entdeckte Pilar den stämmigen Nils oder Niklas, der mit Damian Abitur gemacht hatte, daneben seine Mutter, die Inhaberin des Ückersdorfer Schreibwarenladens, Senta Bindelang. Mit herabhängenden Mundwinkeln blickte sie auf die kleine Gruppe vor ihr, die man sonst eher mit Bierflaschen im Wald sah: Katies Bruder Marvin, ganz in Schwarz, zwei Mädchen mit dunkel umrandeten Augen und hüftlangem Haar und der rotblonde Bobbi, dessen Gesicht an einen gelangweilten Labrador erinnerte.
    Rita hatte übertrieben. So eng war es dort hinten nicht, und niemand schien alt und gebrechlich zu sein. Das Stück war nicht lang, das schafften die Leute auch im Stehen, vorausgesetzt, man ließ sie jetzt nicht ewig warten.
    Zudem sah es so aus, als ob keine weiteren Zuschauer kämen. Kevin, der mit seiner Schwester Vivian hinter dem kleinen Tisch an der Tür gesessen hatte, um Programmzettel zu überreichen, kam mit seinem Stuhl nach vorne und stellte ihn wie abgemacht für Rita neben die erste Sitzreihe. Er grinste Pilar an, hob einen Daumen und verschwand in dem kleinen Raum hinter der Bühne. Vivian stand noch am Tisch. Die Spitzen ihres kinnlangen blonden Haars schwangen hin und her, während sie die Hüte zurechtlegte, mit denen die Darsteller nach der Vorstellung Spenden sammeln sollten.
    Pilar spürte den Blick der Küsterin, die auf eine Antwort wartete. Hinter ihr nörgelte Anna, ihr Bruder sei nicht da, obwohl er es versprochen habe.
    »Der hat mal kurz in den Saal geschaut«, meinte Tommy. »Dem war es wohl zu voll.«
    »Oder er macht wieder mit irgendeiner rum«, kicherte Max. »Aua! Spinnst du?«
    Offenbar hatte Anna ihn geboxt oder eins von den beiden anderen Mädchen. Pilar wollte es nicht wissen. Sie vermisste noch ihren alten Freund Freddy, ihren treuesten Zuschauer. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Schon Viertel nach sieben.
    »Lass uns anfangen, Rita«, sagte sie zur Küsterin. »Mach bitte die Tür zu und das Saallicht aus.«
    Rita verdrehte die Augen. So viele Menschen ohne Sitzplatz zu wissen, ging ihr gegen den Strich, das konnte man sehen. Mit einer ruckartigen Kopfbewegung wandte sie sich um und ging auf die Saaltür zu.
    »Vergiss nicht, das Licht im Flur auszuschalten«, rief Pilar der Küsterin nach. Im letzten Jahr war das Flurlicht angeblieben und hatte die Glasscheiben der Saaltür in leuchtende Rechtecke verwandelt. Bei dem heutigen Mörderstück würde das die ganze Stimmung verderben. Zur Spannung gehörte Dunkelheit, darin waren sich alle einig gewesen.
    Pilar wandte sich ihren Schauspielern zu und legte den Zeigefinger an ihre Lippen. Von jetzt an war absolute Ruhe geboten. »Sind eure Handys aus oder auf lautlos gestellt?« Sie richtete einen bohrenden Blick auf jeden Einzelnen, denn ohne Ausnahme hatten sie vor wenigen Minuten noch SMS -Nachrichten geschrieben und empfangen oder telefoniert. Samstags verabredeten sich die meisten, und der Abend war lang.
    Nachdem alle sechs genickt hatten, ging Pilar um die Bühne herum zu ihrem Platz in der Mitte der ersten Reihe, das Regieheft in der Hand, für den Fall, dass sie soufflieren musste. Bevor sie sich setzte, schaute sie zur Saaltür. Prima, der erste Flügel war geschlossen, der Flur dahinter düster. Hoffentlich musste niemand zur Toilette. Sie blickte auf den weinroten Samtstoff vor sich und hörte den zweiten Türflügel einrasten. Das Licht im Saal erlosch. In richtigen Theatern gibt es ein Leuchtschild über dem Ausgang, dachte sie, aber in unserem Saal wird es vollständig dunkel.
    Das Raunen im Publikum verebbte. Nur von ganz hinten kam noch Gewisper. Hier und da scharrte eine Schuhsohle über den Boden, der ein oder andere hustete. Ein Kind fragte: »Geht es jetzt los?«, worauf ein verärgertes »Schscht!« folgte.
    Pilar liebte dieses Dunkel, das Eintreten der Stille im Publikum, den Moment höchster Anspannung in Kopf und Körper. Sie war in ihrem Element und fühlte sich wie eine richtige Theaterfrau. Auch wenn die Bühne und die Technik alles andere als professionell waren, hatten die Aufführungen der Gruppe einen einzigartigen Stil, der sich über die Jahre herausgebildet und gefestigt hatte.
    Ob jeder seine Requisiten hatte? Der Kommissar
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