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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Slawig
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und setzte ein Lächeln auf. »Ja, guten Tag, entschuldigen Sie, dass wir einfach so reinschneien. Wir suchen Adrian Barnes. Er wohnt doch hier?«
    »Worum geht es denn?«
    »Um ein Boot. Ein altes Segelboot aus Holz. Wir wollen es renovieren lassen – es hat meinem Onkel gehört. Herr Barnes übernimmt doch solche Arbeiten, oder?«
    »Wo liegt es denn?«
    »Das Boot?« Ein winziges Zögern. »In Tönning. In Tönning im Hafen. Da haben wir auch diese Adresse bekommen. Wie gesagt, das Boot hat meinem Onkel gehört – ich verstehe nichts davon. Aber im jetzigen Zustand ist es nichts wert. Wir dachten, wir lassen es überholen und verkaufen es dann. Falls Herr Barnes meint, dass es sich lohnt. Wo können wir ihn denn wohl finden?«
    Ich glaubte ihm nicht. Ich misstraute seinem Lächeln und seiner Stimme. Ich glaubte weder, dass es dieses Boot gab, noch dass jemand aus Tönning sie hergeschickt hatte. Die Leute am Hafen hätten gewusst, wo Adrian um diese Uhrzeit zu finden war: auf dem Bauhof des Wasser- und Schifffahrtsamts. Sie hätten die Männer entweder dorthin geschickt – oder gar nicht zu ihm, sondern zu der kleinen Werft im Ort, die auf Holzboote spezialisiert ist.
    Aber mir selbst misstraute ich ebenso. Ich kannte diese Müdigkeit nach langer Arbeit, auf meine Eindrücke ist dann wenig Verlass, die Dinge verlieren ihre Proportionen, Kleinigkeiten rufen wilde, verwirrende Bilder hervor.
    So standen wir dort auf der Grasfläche vor unserer Werkstatt, die Männer wartend, während ich nach einem Halt inmitten meiner vagen, spukhaften Befürchtungen suchte. Am Ende erwiesen sich unsere Geldsorgen als fester Grund. Falls es das Boot tatsächlich gab, konnten wir den Auftrag gut gebrauchen.
    Ich sah auf die Uhr. Es war Viertel vor vier. »Er ist bei der Arbeit. In Tönning.« Ich beschrieb ihnen den Weg. »Danach fährt er zu einem Kunden. Aber wenn Sie sich beeilen, erwischen Sie ihn noch. Oder er ruft Sie an.«
    Die letzten Sätze schien der Mann kaum noch zu hören. Sein Blick war glasig geworden. Als wäre ich für ihn nicht mehr vorhanden. Dann lächelte er plötzlich, ein unfreundliches Lächeln.
    »Da beeilen wir uns mal. Vielen Dank.« Er hob die Hand an die Stirn, als wollte er salutieren. Ich hatte das Gefühl, dass er sich über mich lustig machte, nur dass ich den Witz nicht begriff. Sie drehten sich um und gingen davon.
    Als sie fast die Straße erreicht hatten, bog ein Auto in die Zufahrt. Statt auszuweichen, blieben sie in der Mitte der Fahrspur stehen, so dass der Wagen halten musste. Ich sah, wie der kleinere der beiden sich vorbeugte und durch die Windschutzscheibe spähte. Als er sich aufrichtete, hob er kurz beide Fäuste vors Gesicht, die ausgestreckten Daumen nach oben, als wollte er dem Fahrer gratulieren. Dann gingen die zwei am Auto vorbei zur Straße.
    Das Auto fuhr wieder an. Ein dunkelroter Audi mit dänischem Kennzeichen, auf der Fahrertür das Logo einer Mietwagenfirma. Der Wagen hielt, ein Mann stieg aus. Er blieb beim Auto stehen und sah den beiden nach. Erst als sie davonfuhren, drehte er sich zu mir um.
    Jens Nilsson. Ich sehe ihn dort stehen, durch das Stück Wiese von mir getrennt. In Jeans und weißem Freizeithemd. Hinter ihm die dunklen Bäume, deren Kronen der Wind schüttelt, über ihm ein blanker Himmel. Die Angst, die den Wortwechsel mit den Männern gefärbt hatte, wehte augenblicklich davon. Er sah so vertraut aus. Norddeutsch. Glattrasiert, blond. Er kam über das Gras auf mich zu, blickte mir offen ins Gesicht, lächelte, sagte: »Guten Tag, mein Name ist Nilsson«, und reichte mir eine Visitenkarte.
    Jens Nilsson. Dipl.-Ing. Institut für Angewandte Informatik. Köln.
    »Ich suche Adrian Barnes. Er wohnt doch hier?«
    Als würde man dieselbe Szene zweimal spielen. Schon war die Angst wieder da. Er tarnt sich, sagte jemand in mir. Er ist einer von ihnen.
    »Er ist bei der Arbeit. Beim Schifffahrtsamt in Tönning.«
    Nilsson schwieg, und ich hatte dasselbe Gefühl wie eben: dass ich mir eine Blöße gegeben hatte und nicht wusste, wodurch.
    »Geht’s um ein Boot?«, fragte ich laut.
    »Ein Boot? Nein, wieso?«
    Dann blickte er zur Straße hinüber, dorthin, wo die beiden Männer geparkt hatten, und ebenso gut hätte er aussprechen könnten, dass er wusste, dass die zwei auch nach Adrian gefragt hatten. Und dass er den Grund dafür kannte, im Gegensatz zu mir.
    »Nein. Es geht um Dhanavati Reinerts. Ich bin auf der Suche nach ihr. Ich hoffe, Herr Barnes kann mir
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