Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich will dir glauben

Ich will dir glauben

Titel: Ich will dir glauben
Autoren: Elisabetta Bucciarelli
Vom Netzwerk:
2
    Ein üppiges Bouquet blühender Callas steht in einer Vase auf dem Boden neben dem Sofa. Außerdem weiße Rosen und Margeriten. Fünf kleine Maiglöckchensträuße. Christrosen, Orchideen, Anemonen, Pfingstrosen. Tulpen. Magnolien, obwohl es nicht ihre Zeit ist. Ein Gemisch verschiedenster Düfte. Zarte, zurechtgezupfte Blütenblätter. Starre Stelen, von einem unsichtbaren Draht aufrecht gehalten.
    Ich wiege weniger als fünfzig Kilo, bei einer Körpergröße von einem Meter fünfundsiebzig. Ich esse fast nichts. Schlafe so gut wie nie. Und bewege mich noch seltener. Der Sessel gibt kaum nach unter meinem Gewicht. Alleine durch die Tatsache, dass ich mich nicht vom Fleck bewege. Ich betrachte die vertrauten Bilder an der Wand. Bemerke die verschiedenen Farbschichten. Den Farbschleier. Die Abstufungen der einzelnen Grüntöne. Die verschiedenen Schattierungen des Schwarz. Im Kopf gehe ich alles noch einmal durch. Schritt für Schritt, von Anfang bis Ende. Der Zwischenfall hatte nicht länger gedauert als eine Zigarettenlänge. War es Zufall gewesen?
    Jeder Blume liegt ein Grußwort bei. Ungelesen türmt sich der Stapel Briefumschläge auf dem Couchtisch des Wohnzimmers. Ich sollte sie öffnen. Mich wenigstens bedanken. Von meinem Sessel aus betrachte ich den Haufen. Es hat den Anschein, als stammten sie alle aus dem gleichen Blumenladen. Einige Kuverts enthalten ein eng zusammengefaltetes Blatt Papier. Andere nur eine kleine Karte. Weißes, neutrales Papier. Der Stapel liegt in meiner Reichweite. Ich greife erst nach dem obersten Umschlag, dann auch nach den restlichen. Ich lege sie in meinen Schoß, als wollte ich sie darin wiegen. Ich zögere, schließlich öffne ich sie.
    Ich zähle an die zwanzig Dankesgrüße . Die Namen paarweise, manchmal auch drei auf einer Karte. Kleine Zeichnungen. Ein Häuschen. Eine Familie. Ein Baum. Ein Herz. Andere weniger persönlich. Das blanke Weiß einer längst aufgekündigten Strenge, einer unerreichbaren Reinheit. Ich habe alle Zeit der Welt, um die Karten wieder zu verstauen. Jede einzelne in den dazugehörigen Umschlag.

3
    Passiert war Folgendes: Langsam und sicheren Schrittes, die rechte Hand in der Hosentasche vergraben, ging ich bergauf. Der Wald begann sich langsam zu verändern. Der zunächst dichte Baumbestand wurde immer spärlicher. Hie und da öffnete sich der Wald zu einer Lichtung. Am Horizont Gipfel und Felsen. Ich war schon einmal hier gewesen, als ich unbefugt in einem Fall um Kindesmissbrauch ermittelte, woraufhin ich mich nachts mit schmerzendem, blutendem Kopf am Straßenrand wiederfand. Jemand hatte mir von hinten einen Knüppel übergezogen. Entgegen jeder Vernunft war ich noch einmal zurückgekehrt, um mir Gewissheit zu verschaffen. Für einen Spaziergang an einem Feiertag, außerhalb der regulären Dienstzeit.
    Meine Finger in der Hosentasche umklammerten fest den Griff des Messers. Ich trage nie eine Waffe bei mir. Ein einfaches Taschenmesser von passender Länge genügt mir vollkommen.
    Gemächlich stieg ich bergauf, den Blick geradeaus gerichtet. Da sah ich ihn. Ohne ihn wiederzuerkennen. Die Hand noch immer in der Hosentasche, löste sich die Arretierung des Messers. Die Klinge sprang heraus, durchstieß den Stoff entlang des Oberschenkels und hinterließ einen Schnitt in der Haut.
    Lass dich vom Instinkt leiten, gebot ich mir selbst. Ich spürte den Schmerz und presste das kalte Metall gegen die Wunde. Noch ein paar Schritte, dann blieb ich stehen.
    Er stand mir zugewandt, weiter oben am Hang, die Beine etwas versetzt. Mit seinen muskulösen Armen legte er in aller Ruhe sein großes Jagdgewehr an, stützte es an seiner Schulter ab, richtete den Lauf auf mich, nahm mich ins Visier. Niemand von uns beiden bewegte sich. Für einen kurzen Moment war um uns herum nichts als Stille. Dann plötzlich spannte sich der Körper des Mannes an wie ein Bogen. Der Bruchteil einer Sekunde, und ich hörte, wie sich ein Schuss löste.
    Ich drehte mich um. Vielleicht um auszuweichen, vielleicht, weil ich ein Geräusch vernommen hatte. Ich drehte mich um. Vielleicht, weil ich dem Tod nicht ins Auge sehen wollte. Ich drehte mich um. Ein einziges Mal. Instinktiv. Und stach zu. Eine ungewohnte Bewegung. Ja, ich habe es getan. Ich zog meine Hand aus der Tasche und bohrte die Klinge des Messers tief ins Fleisch. Blut beschmutzte meine Hand. Ich habe gemordet. Jemanden umgebracht. Getötet. Aber wen?
    Ich wusste nicht, wer hinter mir stand. Die Angst schien nur nach vorne
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher