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Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes
Autoren: Friedrich Ani
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    M anchmal sprachen wir über nichts anderes als über den Tod.
    »Hast du Angst?«, fragte Martin Heuer .
    »Ja«, sagte ich. »Wenn ich glücklich bin.«
    »Glaubst du an Gott?«
    »Das weißt du doch«, sagte ich und winkte der Wirtin, die an einem Tisch saß und mit Gästen über ein in der Zeitung ausgebreitetes Verbrechen diskutierte. »Wenn es mir gut geht, glaube ich an Gott.«
    »Sonst nicht?«
    Martin zündete sich eine Zigarette an, blies den Rauch in Richtung Tür und rutschte auf dem Barhocker herum .
    Seine Daunenjacke knisterte. Draußen war es ziemlich warm, aber er hatte den Reißverschluss geschlossen und dachte auch in der Kneipe nicht daran, ihn zu öffnen oder womöglich die Jacke abzulegen. In ihm war etwas erkaltet. Und vielleicht sog er deshalb so gierig den Rauch seiner Salemohne ein, weil er sich einbildete, auf diese Weise gelange ein wenig Wärme in seine Arktis .
    Darüber sprachen wir nicht. Schon lange nicht mehr .
    »Noch zwei?« Die Wirtin wirkte nicht weniger bebiert als wir.
    Martin nickte .
    »Unbedingt«, sagte ich.
    »Hast du das gelesen?«, sagte die Wirtin, die Hanni hieß, wie sie mir einmal bei einer innigen Abschiedsumarmung nach einem endlosen Abend ins Ohr geflüstert hatte. »Jetzt müssen die den Prozess von vorn anfangen, weil der Zeuge das Mädchen in der Türkei gesehen hat .
    Gibts doch nicht. Glaubst du so was? Da stimmt doch was nicht. Die ist doch tot. Der Bursche, der da vor Gericht steht, der wars. Die ist doch nicht in der Türkei! Wie soll die da hingekommen sein?«
    Sie stellte die Gläser vor uns auf den Tresen und zog mit einem Kugelschreiber einen weiteren blauen Strich auf meinem Deckel. Es war Freitagabend und Martin mein Gast.
    »Die Polizei hat Mist gebaut«, sagte Hanni. »Die brauchen jetzt ein Alibi.«
    »Was für ein Alibi?«, sagte ich.
    Obwohl ich relativ regelmäßig im »Augustinerstüberl« an der Tegernseer Landstraße mein Bier trank – ab und zu in Begleitung meines besten Freundes und Kollegen Martin Heuer –, kannte kein Gast meinen Beruf. Wenn ich allein am Tresen stand, redete ich selten mit jemandem, allenfalls mit der Wirtin, die eine Vorliebe für Fragen hatte, die sie sich selber beantwortete.
    »Das Mädchen ist tot, die liegt irgendwo verbuddelt unter der Erde, und die Polizei findet die Leiche nicht. Wieso haben die den Sohn von dem Wirt verhaftet? Die haben endlich was gebraucht zum Vorzeigen. Die haben komplett versagt. Haben die nicht die ganze Sonderkommission ausgewechselt wegen Erfolglosigkeit? Das ist von München ausgegangen, von oberster Stelle und jetzt …«
    »Möge es nützen!«, sagte Martin und hob sein Glas.
    Seit er gelesen hatte, dass dies die Übersetzung von prosit sei, hatte er einen Trinkspruch .
    »Möge es nützen!«, sagte ich.
    Wir stießen mit den Gläsern an und tranken und wischten uns den Schaum vom Mund.
    »Der Bursche sagt nichts«, sagte die Wirtin und sah Fredi an, der wie immer am Rand des Tresens saß, ein fetter Mann mit einem schwarzen dichten Vollbart, der sein breites Gesicht ausufernd erscheinen ließ. Wann immer ich ihm begegnete, trug er einen Blaumann mit der Aufschrift der Brauerei, für die er arbeitete. Und er trank Rotwein – in einer Kneipe wie dem »Augustinerstüberl« eine waghalsige Art des Durstlöschens. Gern kratzte er sich intensiv und ausführlich an den Unterarmen, was ein Geräusch verursachte, dessen nervzerrende Eindringlichkeit den ständig dudelnden Schlagern aus dem Radio in nichts nachstand.
    Fredi nickte. Es sah aus, als würde sein Kopf jedes Mal nach unten plumpsen.
    »Der sagt nichts«, wiederholte Hanni. »Und wahrscheinlich weiß er nichts. Er ist ja auch noch behindert. Magst noch einen, Fredi?«
    Wortlos schob Fredi das leere Glas an den Rand der Theke .
    Aus einer bauchigen Flasche mit einem roten Plastikschraubverschluss schenkte Hanni nach .
    »Zmwoi!«, sagte Fredi zu niemandem direkt, bevor er trank.
    Hanni zündete sich eine Zigarette an und setzte sich wieder an den Tisch.
    »Ich glaub an Gott«, sagte Martin. Und ich bemerkte, wie seine Hand mit der Zigarette zitterte. »Aber glaubt er auch an mich?«
    »Er hat keine andere Wahl«, sagte ich .
    »Wieso?«
    »Du bist sein Kind.«
    »Spinnst jetzt?« Mit einem Zug leerte Martin sein Glas, inhalierte den Rauch und behielt ihn in der Lunge, hustete und wischte sich über die Stirn. In der trüben Beleuchtung der Kneipe verlor sein bleiches, knochiges Gesicht an Trostlosigkeit, und seine wie zu
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