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Bockmist

Bockmist

Titel: Bockmist
Autoren: Laurie Hugh
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1
     
    Heut sah ich einen Menschen,
    Der zu sterben nicht gewillt war.
    P. S. STEWART
     
    Stellen Sie sich vor, Sie müssen jemandem den Arm brechen.
    Den rechten oder den linken – spielt keine Rolle. Wichtig ist, Sie müssen ihn brechen, denn wenn nicht … egal, das spielt auch keine Rolle. Sagen wir einfach, wenn nicht, passiert etwas Furchtbares.
    Nun frage ich Sie: Brechen Sie den Arm schnell – knacks, hoppla, ‘tschuldigung, kann ich Ihnen beim improvisierten Schienen behilflich sein –, oder ziehen Sie die Sache genüßlich in die Länge, erhöhen ab und zu in winzigen Stufen den Druck, bis der Schmerz rosa und grün und heiß und kalt und ganz generell brüllend unerträglich wird?
    Jawohl. Genau. Das Richtige, das einzig Richtige ist, daß Sie es möglichst schnell hinter sich bringen. Brechen Sie den Arm, holen Sie den Brandy, seien Sie ein guter Bürger. Eine andere Antwort gibt es nicht.
    Außer.
    Außer außer außer.
    Was ist, wenn Sie die Person am anderen Armende hassen?
    Und ich meine hassen, richtig hassen.
    Diese Überlegung mußte ich jetzt in Betracht ziehen.
    Ich sage jetzt und meine damals, meine den eben beschriebenen Augenblick; den Sekundenbruchteil, bevor mein Handgelenk die Stelle zwischen meinen Schulterblättern erreichte und mein linker Oberarmknochen in mindestens zwei, vielleicht auch mehr nur noch locker verbundene Stücke zerbrach.
    Sehen Sie, der Arm, um den es hier geht, gehörte mir. Es geht nicht um den philosophischen Begriff des Arms. Die Knochen, die Haut, die Haare, die kleine weiße Narbe an der Ellenbogenspitze, die ich einer Ecke der Nachtspeicherheizung in der Grundschule von Gateshill verdanke – sie alle gehören mir. Und jetzt muß ich die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß der Mann, der hinter mir steht, mein Handgelenk gepackt hält und mit schon fast sexueller Inbrunst an meiner Wirbelsäule hochschiebt, mich haßt. Und ich meine Haß, richtigen Haß.
    Er braucht ewig lange.
     
    Er hieß Rayner. Vorname unbekannt. Mir jedenfalls und daher auch Ihnen, nehm’ ich an.
    Ich vermute, irgendwer irgendwo muß seinen Vornamen gekannt haben – muß ihn darauf getauft, ihn damit zum Frühstück gerufen und ihm beigebracht haben, wie man ihn schreibt –, und jemand anders muß ihn mitsamt der Einladung zu einem Drink durch eine Bar gebrüllt, beim Sex gehaucht oder in das entsprechende Kästchen des Lebensversicherungsformulars geschrieben haben. Ich weiß, daß all das geschehen sein muß. Man kann’s bloß nicht glauben.
    Rayner war nach meiner Schätzung zehn Jahre älter als ich. Das geht in Ordnung. Damit hab’ ich keine Probleme. Ich habe herzliche Beziehungen und Nichtarmbruchspakte mit jeder Menge Leute, die zehn Jahre älter sind als ich. Menschen, die zehn Jahre älter sind als ich, sind im großen und ganzen hochachtbar. Aber Rayner war außerdem zehn Zentimeter größer als ich, fünfundzwanzig Kilo schwerer und mindestens acht Gewalteinheiten, egal wie Sie die messen, gewalttätiger. Er war häßlicher als ein Parkhaus, hatte einen großen, unbehaarten Schädel, der Löcher und Beulen wie ein Luftballon voller Schraubenschlüssel aufwies, und seine abgeplattete Boxernase, die jemand ihm mit der linken Hand ins Gesicht gezeichnet haben mußte, vielleicht aber auch mit dem linken Fuß, breitete sich in einem mäandrierenden schiefen Delta unter der klobigen Stirnplatte aus.
    Und allmächtiger Gott, was für eine Stirn! Ziegelsteine, Messer, Flaschen und vernünftige Argumente waren im Lauf der Zeit wirkungslos von dieser wuchtigen Frontalebene abgeprallt und hatten nur unmerkliche Dellen zwischen den tiefen und weit verteilten Poren hinterlassen. Ich glaube, er hatte die tiefsten und weitestverteilten Poren, die ich je auf einer Menschenhaut gesehen habe, und ich mußte unwillkürlich an den städtischen Golfplatz in Dalbeattie denken, damals nach dem langen und trockenen Sommer ‘76.
    Wenn wir uns nun den seitlichen Erhebungen zuwenden, so sehen wir, daß man Rayner vor langer Zeit die Ohren erst abgebissen und dann wieder an den Schädel gespuckt hatte, denn das linke war eindeutig verkehrt herum angebracht oder umgekrempelt oder sonst einer Prozedur unterzogen worden, jedenfalls starrte man es einige Zeit begriffsstutzig an, bevor man dachte: »Ach, das ist ein Ohr.«
    Und um das Maß vollzumachen, falls Sie noch nicht auf den Trichter gekommen sind, trug Rayner eine schwarze Lederjacke über einem schwarzen Rollkragenpullover.
    Aber Sie sind
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