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Nachtwelt

Nachtwelt

Titel: Nachtwelt
Autoren: Theres Buechner
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5:30 Uhr und schlechte Laune
    Sie ist eine gute Schläferin. Sie legt sich ins Bett,
liest noch ein paar Seiten und versinkt dann in einen traumlosen Schlaf. Nach
dem Aufstehen braucht sie eine Stunde, um ihre allmorgendliche, schlechte Laune
abzulegen. Danach ist sie fit für den Tag.
     
    Aber an diesem Morgen, als der Wecker wie immer um
5:30 Uhr klingelt, ist Mimi nicht nur ausgesprochen übellaunig, sondern auch
total müde und kaputt. Seit Wochen hat sie schlimme Nächte mit verwirrenden
Träumen, die beim ersten Schlag auf den klingelnden Wecker vergessen sind.
    Sie schläft unruhig und scheint in der Nacht gegen Dämonen
zu kämpfen. Heute hängen ihr die zerzausten Haare quer übers Gesicht und eines
der zwei Kopfkissen liegt neben dem Bett. Mimis Pyjamajacke ist eng um ihren
Körper gewickelt und während sie versucht sich von der Jacke zu befreien,
stellt sie fest, dass zwei Knöpfe abgerissen sind.
     
    Im Bad, beim Blick in den Spiegel, starrt sie auf ihre
Augenringe. Dunkle Schatten, mit einem Stich ins Violette. An diesem Morgen
verliert sie beim Bürsten viele Haare, da ihr die Geduld fehlt, sie vorsichtig
zu entknoten. Je mehr das Kämmen weh tut, desto wütender reißt sie an der
Bürste.
     
    Die Kaffeemaschine läuft und der Toast sonnt sich
zwischen den glühenden Gitterstäben.
     
    Nach dem Frühstück nimmt Mimi sich einen Becher Kaffee
und eine Zigarette mit in den Garten. Sie raucht selten, aber nach so einer
Nacht und schmerzender Kopfhaut, hat eine Zigarette etwas Tröstliches.
    Draußen merkt sie es sofort. Über Nacht ist der
Frühling gekommen. Die Luft ist mild und ihre Strickjacke reicht aus, um nicht
zu frieren. Es riecht wunderbar nach neuem Leben. In der letzten Nacht scheinen
die Narzissen und Tulpen mehrere Zentimeter aus der Erde geschossen zu sein.
Nicht mehr lange und sie werden anfangen zu blühen.
    Es dauert nur einen Moment, bis Mimi ihren kleinen
Garten durchquert hat. Mit Kaffeepott und Zigarette sitzt sie auf der uralten
Steinbank, die in einer Nische zwischen den Hecken steht. Während des Winters
haben sich auf dem Stein Moos und Flechten festgesetzt.
    Für Mimi ist die Bank, der Ort der absoluten Ruhe. Mit
ihren eingemeißelten Blättern, Blüten und fratzenhaften Dämonenköpfen scheint
die Bank aus einer magischen Welt zu kommen. Hier zu sitzen besänftigt sie.
Müdigkeit und schlechte Laune sind vergessen.
     
    Mimi stellt ihren Kaffeebecher in die Spüle, schmiert
noch ein paar Brote und stopft die Tupperdose, zusammen mit der Thermoskanne,
in ihren Rucksack. Während sie ihre Haustür zuzieht beschließt sie, dass heute
der Tag des Frühjahrsputzes gekommen ist.
    Viel Zeit wird dieser nicht in Anspruch nehmen. Die
Größe ihres Hauses ist der Größe des Gartens angepasst – klein. Die Grundfläche
beträgt ungefähr siebzig Quadratmeter. Ursprünglich diente das Häuschen als
Remise und gehört zu dem stattlichen Herrenhaus, in dem Mimis Vermieter wohnen.
In den achtziger Jahren wurde es zum Gästehaus umgebaut und seit zwei Jahren
ist Mimi stolze Mieterin dieser kleinen Puppenstube. Ein Backsteinhaus, mit
Sprossenfenstern und alten Fensterläden, in die Blumenornamente geschnitzt
sind. Efeu und wilder Wein haben sich die Vorderseite des Hauses zu Eigen
gemacht.
    Das Allerschönste an Mimis Haus ist eine der
Giebelseite. Diese ist bis in die Spitze des Daches verglast. Hinter dem
riesigen Fenster liegt Mimis Wohnzimmer und in der Etage darüber ihr
Schlafzimmer. Vom Sofa und dem Bett aus hat man einen herrlichen Blick, in den
kleinen, verwunschenen Garten. Haus und Garten liegen auf dem riesigen,
parkähnlichen Gelände des Herrenhauses, versteckt hinter hohen Bäumen und
Büschen.
     
    Mimi schultert ihren Rucksack. Um schneller durch den
Park zu kommen, nimmt sie das Fahrrad. Am Haupttor hat sie ihren Wagen geparkt.
Sie radelt über die schmalen Sandwege, die sich durch das leicht hügelige
Gelände ziehen. Wie eine grüne Decke liegt die Rasenfläche zu beiden Seiten des
Weges. Manchmal wird die Fläche von runden Beeten, deren Durchmesser zehn bis
zwanzig Meter beträgt, durchbrochen. Wie kleine Inseln schwimmen sie in dem
endlosen Grün. Im Sommer gibt es ein Beet mit Wildblumen und eines mit Rosen
und Lavendel.
     
    Außerdem gibt es im Park ein Labyrinth, aus drei Meter
hohen Lebensbäumen, in dessen Mitte ein Pavillon steht. Mimi stellt sich vor,
wie dort junge Frauen, in altertümlichen Kleidern, darauf warten, dass ihr
Liebster den Weg zu ihnen findet
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