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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Autoren: Thommie Bayer
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hab ein schlechtes Gewissen deshalb. Ich hab einfach nicht mehr
an sie gedacht, und jetzt ist sie tot.«
    Â»Ich hab ihr mal geschrieben«, sagte Wagner, »ist aber auch schon
neun Jahre her.«
    Dass er sie nur um ihre Unterschrift für eine Petition an den
Bundestag gebeten hatte, in der es um die Teilnahme am Afghanistankrieg
gegangen war, verschwieg er.
    Â»Jetzt ist es jedenfalls zu spät«, sagte Michael und schloss den
Wagen ab. Es war heiß, aber bewölkt – sie zogen beide ihre Jacketts aus, als
sie den kurzen Fußweg zum Haus antraten.
    ~
    Angela hatte im Garten ein Büfett angerichtet. Die
Trauergäste saßen auf Bierbänken und beschäftigten sich mit den vor ihnen
stehenden Tellern, Kaffeetassen, Weißwein- und Wassergläsern. Die Gespräche
klangen gedämpft und tastend, weil der Garten nicht groß genug war, um jedem
der Grüppchen, die sich auf dem Weg vom Grab gefunden hatten, einen eigenen
Platz zu bieten – jetzt saß man wieder Fremden gegenüber, die man nicht kannte
und nichts zu fragen wagte.
    Bernd und Thomas standen schon vorn in der Schlange am Büfett, als
Michael und Wagner eintrafen und sich an deren Ende stellten.
    Â»Ihr habt schön gesungen«, sagte eine Frau, die vor ihnen in der
Reihe wartete, »das war echt ergreifend.«
    Â»Vor allem war’s ein Wagnis«, sagte Michael, »das hätte auch
schiefgehen können.«
    Â»Ist es nicht«, sagte die Frau. »Kennt ihr mich eigentlich noch?«
    Â»Ehrlich gesagt, nein«, antwortete Wagner, »sei nicht böse. Ich
jedenfalls nicht«, und er sah Michael fragend an, in der Hoffnung, der rette
womöglich die peinliche Situation.
    Â»Siggi«, sagte sie lächelnd. »Sigrid Möhlin, damals Gerstner.«
    Â»Au, du hast dich verändert. Entschuldige«, sagte Michael. »Hallo,
Siggi.«
    Â»Klar hab ich das. Ihr auch. Ich hätte euch auch nicht erkannt, wenn
ihr nicht gesungen hättet.«
    Jetzt kam das Gespräch auf, das sie bislang vermieden hatten. Siggi
erzählte von ihrem Beruf als Sportlehrerin in Passau, ihren gelegentlichen
Besuchen bei Emmi, die ihr sehr geholfen, der sie viel zu verdanken und mit der
sie bis vor Kurzem noch hin und wieder telefoniert habe. Aber nicht mehr im
Krankenhaus, alles sei so schnell gegangen und Emmi auf einmal tot gewesen.
    Weil Siggi danach fragte, erfuhr Michael, dass Wagner noch immer in
Erlangen lebte, nicht mehr beim Sozialamt, sondern inzwischen beim Wohnungsamt
arbeitete, dass sein Sohn gerade mitten im Abitur steckte und seine Frau
Corinna leider nicht kommen konnte, weil sie auf einer Tagung in Island war,
aber alle herzlich grüßen lasse und später mal alleine Emmis Grab besuchen
wolle.
    Die beiden redeten weiter, aber Michael hörte nicht mehr zu, weil
sich Corinnas Bild vor die Unterhaltung schob. Sie war so etwas wie ihr Groupie
gewesen und, immer wenn sie konnte, zu den Auftritten mitgekommen, hatte
Plakate verschickt, bei den Proben zugehört – sie war niemandem lästig
gefallen, weil alle vier ein bisschen verliebt in sie und vertraut mit ihr
gewesen waren.
    Zu Emmi hatte sie eine vorsichtige, vielleicht auch von Eifersucht
eingetrübte Distanz gehalten, aber die beiden Frauen waren arbeitsteilig in
einer Art stillschweigender Übereinkunft dafür zuständig gewesen, die
Nachtigallen zusammenzuhalten, indem sie deren Rivalität untereinander so
abfederten, dass das Ensemble nicht auseinanderflog. Von Emmi und Corinna
fühlte sich jeder der vier geachtet und gemocht, vielleicht sogar geliebt,
zumindest so gewürdigt, wie es die anderen Bandmitglieder nicht immer zustande
brachten.
    Später, als der Kontakt zu Emmi lockerer wurde, weil sie alle zum
Studium nach München gezogen waren, übernahm Corinna das Management, und sie
versuchte auch, die Rolle als Seele des Quartetts, als dessen Muse auszufüllen,
aber Emmis Schatten war zu groß – Corinna konnte nicht darunter hervortreten –,
bis das Ganze schließlich allen um die Ohren flog, weil die Musik nicht mehr
das Wichtigste in ihrem Leben war.
    Corinna hatte sich nie mit einem der vier eingelassen, es aber immer
vermocht, jedem das Gefühl zu geben, er sei der von ihr Begehrte, nur könne man
nicht miteinander ins Bett fallen, weil sonst die Band in Gefahr geriete.
Irgendwann hatte Michael geglaubt, sie inszeniere sich als ein Versprechen, das
sie nicht halten wollte.
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