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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Autoren: Thommie Bayer
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leise, dass das Quartett sie nicht hatte hören
können, trotz des Kieses auf den Wegen. Niemand klatschte, aber mancher hatte
Tränen in den Augen, einige schluchzten oder schnäuzten sich, andere hatten
diese leeren Mienen aufgesetzt, die ihr Innerstes vor den Blicken der anderen
verbergen sollten. Angela, mit nassen Augen, aber breitem Lächeln, kam her und
küsste sie alle vier auf die Wangen. Es war ein so erhebender wie peinlicher
Moment. Als Angela Michael küsste, hörte er sie flüstern: »Das wird sie euch
nicht vergessen.«
    Dann hakte sie sich bei ihm unter und sagte: »Wir gehen zum Haus.«
    ~
    Auf dem Weg nach draußen fanden sich, ohne dass jemand
bewusst den Schritt beschleunigt oder verlangsamt hätte, nach wenigen Metern
die Trauergäste zu Grüppchen zusammen, und als Angela sich um den Schulleiter
und seine ähnlich gebrechliche Haushälterin kümmerte und zurückblieb, waren die
vier Nachtigallen wieder unter sich. Michael bot seine Zigarettenschachtel an,
aber nur Bernd griff zu und ließ sich Feuer geben. Wagner sagte, er habe damit
aufgehört, und Thomas schniefte verächtlich und antwortete auf Michaels
fragenden Blick: »Das ist unter meiner Würde.«
    Auf dem Parkplatz wurde auch klar, was er damit gemeint hatte, denn
er holte sich eine Zigarre aus dem Handschuhfach seines Wagens und zündete sie
mit entsprechendem Zeremoniell an: Spitzen abschneiden, Mundstück nass lecken,
paffen und mit geschlossenen Augen den ersten Zug nehmen, dann genießerisch zustimmend
nicken und die Zigarre mustern, als habe er ein besonders wohlschmeckendes
Exemplar erwischt.
    Jetzt zeigte sich auch, dass Michael der Anfänger gewesen war, der
Thomas und Bernd im Regen behindert hatte. Michael wusste, was sie dachten, als
er die Tür des Volvos öffnete, um die Zigarettenschachtel auf den Beifahrersitz
zu werfen. Er lächelte.
    Â»Wir hätten Kolonne fahren können«, sagte er.
    Â»Dann wären wir jetzt noch nicht da«, sagte Thomas.
    Â»Ich bin doch da.«
    Â»Rechthaber.«
    Sie standen eine Weile schweigend, sahen den anderen Trauergästen
beim Einsteigen und Wegfahren zu und spürten dem Verebben ihres Zusammengehörigkeitsgefühls
nach. Wagner, der nichts in den Händen hatte, um seine Verlegenheit zu
überspielen, verwickelte die Amsel in der Akazie über ihnen in ein Zwiegespräch.
Er pfiff ihre Melodie nach und spornte sie dadurch zu immer gewagteren Kadenzen
an, es klang artistisch und gut gelaunt, wie die beiden sich immer größeren
Herausforderungen stellten und schließlich in Respekt voreinander verstummten.
    Bernd, Michael und Thomas klatschten, als der kleine
Sängerwettstreit beendet war und sich die Amsel mit Schwung in die Luft erhoben
und nach irgendwohin schwirrend verabschiedet hatte.
    Â»Du kannst es noch«, sagte Bernd.
    Wagners Talent als Vogelstimmenimitator hatte ihnen den Namen
gegeben und eine ihrer beliebtesten Nummern hervorgebracht. Damals waren bei
einem Auftritt im Freien drei der Mikrofone ausgefallen, und Wagner überbrückte
spontan die peinliche Pause mit seiner Nachtigallenimitation, die er bis dahin
allenfalls in Sommernächten vor den Fenstern der Mädchenschlafräume zum Besten
gegeben hatte. Thomas, der an dem kleinen Mischpult herumfummelte, dessen
Funktionen er nicht so richtig kannte, probierte Bassdrumgeräusche aus, und als
die hörbar waren, sang Michael eine Kontrabasslinie, bis auch sein Mikro wieder
im Spiel war, Bernd zischte den Rest eines Schlagzeugs dazu, bis der fliegende
Soundcheck fertig war und Thomas den Song einzählte, den sie eigentlich hatten
singen wollen: Yes it is von den Beatles. Damals
bestand die Hälfte ihres Repertoires aus Beatles- und Beach-Boys-Stücken und
der Rest aus Schlagern der Dreißiger- und Fünfzigerjahre, ein paar Folksongs
und zwei Broadway-Nummern.
    Wagner musterte die Autos der anderen, den nicht mehr ganz neuen
Mercedes-Kombi von Bernd, den Porsche Cayenne von Thomas und den schafsgesichtigen
Volvo, den Michael gemietet hatte, bevor er fragte: »Kann ich bei dir
mitfahren?«
    Â»Klar«, sagte Michael. Er wusste, was Wagner dachte: Mercedes und
Porsche waren Symbole von Wohlstand und Gediegenheit, die er für sich ablehnte,
der Volvo war es aus unerklärlichen Gründen nicht. Schwedische und französische
Autos wurden von den richtigen Leuten gefahren, Porsche, Mercedes und BMW
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