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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Autoren: Thommie Bayer
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München
zurückflog. Der Baustopp, den eine Bürgerinitiative durchgesetzt hatte, war
aufgehoben, sein Gelände in Untergiesing damit wieder etwas wert und die
krachende Pleite abgewendet.
    Er hatte sich schon im Gefängnis gesehen oder untergetaucht mit dem
nicht sehr reichlichen Fluchtkapital, das in einer österreichischen Sparkasse
deponiert war, vielleicht in Venedig bei Michael, vielleicht auf Teneriffa oder
Mallorca. Dieser Gedanke war lähmend gewesen, denn als mittelloser Hungerleider
hätte Thomas das Gefühl gehabt, seine Exfrau habe gewonnen. Sein Wohlstand war
der einzige Teilsieg, den er ihrem Vernichtungsfeldzug entgegensetzen konnte, ohne
den wäre nichts von seinem Stolz mehr übrig.
    Sein schlechtes Gewissen gegenüber Michael, dem er Serafina
ausgespannt hatte, ließ ihn zögern, sich zu melden, aber seine Sehnsucht nach
ihrer unkomplizierten und lebensbejahenden Art (und vor allem nach dem
herrlichen Sex mit ihr) brachte ihn schließlich doch dazu anzurufen, und er war
über die Maßen erleichtert, als Michael ihm nicht grollte.
    Also richtete er es so ein, dass er zweimal im Monat für ein paar
Tage (immer unter der Woche) nach Venedig flog, sich mit Michael in den Museen,
mit Serafina im Bett oder mit beiden in der Stadt herumtrieb – das ging so bis
in den März und machte zusehends einen anderen Menschen aus ihm.
    Dieser andere Mensch war schließlich, nach langem und geduldigem
Zureden von Serafina und Michael, bereit, seine Tochter zu suchen, und voll
guten Willens, ein neues Kapitel in ihrem Verhältnis zueinander aufzuschlagen.
Als er sie aber gefunden hatte und nach einem ersten, sehr vorsichtigen
Telefonat besuchen wollte, erfuhr er von ihrer Lebensgefährtin (die sie am
Telefon nicht erwähnt hatte – das war wohl als Überraschung gedacht gewesen),
seine Tochter liege nach einem Skiunfall im Krankenhaus. Mehr brachte die
Lebensgefährtin nicht heraus, weil sie in Tränen ausbrach und seinen verlegenen
Tröstungsversuchen nicht mehr zugänglich war.
    Im Krankenhaus erfuhr er, dass sie im Koma lag, dass man keine
Prognose abgeben könne, dass ihr Zustand sehr ernst sei, aber man die Hoffnung
nie aufgeben solle. Er wartete, bis seine Exfrau gegangen war, setzte sich zu
seiner Tochter und sprach zum ersten Mal seit Jahren wieder mit ihr.
    Von da an war er drei- bis fünfmal in der Woche bei ihr im
Krankenhaus, immer auf der Hut vor seiner Exfrau, der er aber nur ein einziges
Mal begegnete, auf dem Flur und ohne ein Wort mit ihr zu wechseln – er sprach
mit seiner Tochter, streichelte ihr Haar, erklärte ihr alles wieder und wieder,
sagte ihr, dass er sie liebe, dass er sie immer geliebt habe, dass er immer
gehofft habe, sie zurückzugewinnen, dass er ihr nicht böse sei wegen ihrer
Weigerung, Kontakt zu ihm aufzunehmen, dass sie zurückkommen solle, dass er auf
sie warte, dass er ihr und ihrer Freundin Venedig zeigen wolle, wenn sie wieder
gesund sei, dass er wünschte, sie würde seinen Freund Michael kennenlernen, der
werde ihr gefallen, er sei ein besonderer Mensch und sein einziger Freund.
    Immer wenn ihm die Tränen kamen (das war oft der Fall), unterbrach
er das Reden, er wollte nur Optimismus und Gelassenheit ausstrahlen, seine
Tochter sollte nur Botschaften aus der Welt hören, die sie zur Rückkehr
verlocken würden.
    Nach Venedig kam er nicht mehr. Er durfte nicht so weit entfernt von
seiner Tochter sein. Er musste abrufbereit warten, bis er all seine
Versprechungen ihr gegenüber endlich würde einlösen können.
    Zum Glück wusste Serafina, dass das keine Ausrede war, mit der sich
Thomas aus der Affäre ziehen wollte, und bewarb sich kurzerhand bei der BMW -Bank, wo man sie mit Kusshand nahm und ihre
Anwesenheit bei Meetings alle zwei Wochen erforderlich wurde. Sie kam nie mit
ins Krankenhaus, aber Thomas erzählte seiner Tochter immer mehr von ihr. Wenn
sie aufwachen würde, dann würde Serafina keine Fremde mehr für sie sein.
    ~
    MICHAEL fuhr mit Ian zu einem
Konzert in Madrid, einige Wochen später nach Straßburg und, kurz vor Ende der
Tour, nach Mailand. Er ging nie hinter die Bühne, sondern wartete nach dem
Konzert im Hotel auf Erin und die Band. Wieso er das tat, wusste er nicht
genau, aber er hatte eine Ahnung, es könne damit zusammenhängen, dass Erin
damals in München nach dem Auftritt so anders gewesen war. Sie war noch mit dem
Publikum
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