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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Autoren: Thommie Bayer
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der
Band und einer anstehenden Tournee, die Anfang November zusammen mit der
Veröffentlichung des Albums starten und bis Ende Januar durch vier Länder gehen
sollte.
    ~
    Megan besuchte ihn für vier Tage zusammen mit ihren beiden
Töchtern, und er zeigte ihnen alles, was sie sehen wollten, und manches, von
dem er wollte, dass sie es sahen, obwohl die Töchter hier und da schlappmachten
und sich ins Internetcafé verzogen oder vor seinem Fernseher sitzen blieben.
    ~
    Es war Mitte Oktober, als Erin mit kleinem Gepäck vor
seiner Tür stand und sagte: »Das war ein Tief. Es ist vorbei. Ich nehme dein
Angebot an.«
    Er hatte sich die ganze Zeit über eingebildet, darauf nicht zu
hoffen, aber als sie ihn umarmte und er ihren Koffer an sich nahm, fühlte er
wieder diesen Krampf, der sich löste, und das Fließen, Gleiten und Schwingen,
das in seinen Körper zurückgekehrt war.
    Â»Zwei Tage kann ich bleiben«, sagte sie und ergriff die Hand der
Balkenhol-Figur am Fuß der Treppe. »Conally«, stellte sie sich dem hölzernen
Mann vor, »enchanté.« Dann wandte sie sich an Michael: »Ist er stumm, dein
Majordomus?«
    Sie hatte das fertige Album dabei. Sie lachte ihn an, als er Tränen
in den Augen hatte bei Stone to sand und später auch
noch bei Share it all in melodies . »Ist gut
geworden«, sagte sie und nickte zufrieden.
    Bei The parting glass hatte sie allerdings
selbst Tränen in den Augen – sie sang es ohne Begleitung, so wie damals an
Emmis Grab –, es war das letzte Stück auf dem Album. Michael nahm ihre Hand in
seine, und sie saßen da, schwiegen, sahen einander nicht an, aber ließen auch
nicht los, bis Michael sagte: »Egal, was wird, was war, war gut.«
    Â»Das wird ein Song«, sagte Erin, löste ihre Hand aus seiner und ging
zum Fenster, öffnete es und ließ das Glucksen des Kanals, seinen gelinde fauligen
Geruch und die Wärme der Sonne herein.
    ~
    WAGNER hatte einen Entschluss
gefasst. Noch im Nachtzug nach München war ihm klar geworden, dass er etwas
gegen das Gift unternehmen musste, das ihm von Thomas’ frauenfeindlichen
Ausführungen eingeträufelt worden war. Es würde sonst wirken, solange er es bei
sich behielt.
    Er brauchte einige Zeit, aber schließlich gelang es ihm mit Geduld
und Penetranz, Corinna zu einer Paartherapie zu überreden. Ihren anfänglichen
Widerstand gegen dieses Ansinnen hielt er so lange für Sparsamkeit (die
Therapie musste privat bezahlt werden), bis sie sich in der fünften Stunde
zuerst verplapperte, dann auf Nachfrage des Therapeuten zugab, seit fast zwei
Jahren eine Affäre mit dem Landtagsabgeordneten Wimmer von den Grünen zu haben,
um schließlich in einer Litanei über Wagners Schwächen und Fehler zu
monologisieren, die nur durch den Blick des Therapeuten auf die Uhr gestoppt
werden konnte.
    Erst nach seinem Auszug begriff er, dass die Verachtung seines
Sohnes Adrian im Wesentlichen daher rührte, dass Wagner sich als Weichei und
Loser alles von seiner Frau gefallen ließ, sich bemühte, ihr gerecht zu werden,
ihren Ansprüchen zu genügen, seine eigenen zurückzunehmen, dass er sich wieder
und wieder auf ihre Kritik einließ, ohne auf die naheliegende Lösung zu kommen,
dass diese Kritik nur ein Vorwand war, um ihre Affäre zu begründen, eine
Sammlung von Argumenten, die ihr das Recht zusprechen sollten, sich anderweitig
umzutun.
    Diese Erkenntnis verbesserte das Verhältnis zu Adrian leider nicht,
denn die Solidarität des Sohnes mit seiner Mutter blieb ungebrochen – er fand,
sie habe etwas Besseres verdient als diesen Waschlappen.
    Bei seinem Auszug nahm Wagner das kleine Papierrelief aus Venedig
mit, brachte es dann aber nicht übers Herz, es aufzuhängen. Es erinnerte ihn zu
sehr an bessere Tage. Die allerdings nicht wirklich besser gewesen waren. Er
hatte das nur geglaubt, weil er zu blöd gewesen war, die Realität zu erkennen.
    Je öfter er sich die ätzenden Worte von Thomas in Erinnerung rief,
desto mehr fand er sie bestätigt: Er sah auf einmal nur noch Frauen, die einen
Versorger suchten. Und er fand mehr und mehr Geschmack am Alkohol in immer
größeren Mengen, vernachlässigte seinen Garten, ignorierte sein Fahrrad im Flur
der kargen Einzimmerwohnung, erledigte seine Arbeit im Amt mit immer mehr Biss
und Schärfe, machte sich auf diese Weise unbeliebt bei Kollegen
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