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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Autoren: Thommie Bayer
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und
startete den Motor.
    Er winkte aus dem Fenster, solange er Erin noch im Rückspiegel sehen
konnte, wie sie vor ihrer Tür stand und ihnen nachschaute. Sie winkte zurück.
    Â»Ich muss nicht reden, oder?«, fragte Ian nach einigen Kilometern.
    Â»Nein«, sagte Michael.
    In seinem Kopf waren zu viele Gedanken unterwegs, als dass er einen
davon hätte fassen können, er ließ sie einfach so vorüberschweben wie
Rauchringe, Flusen oder Wolkenstreifen, sie würden irgendwann in einem
ruhigeren Moment wiederkommen und dann verständlicher, klarer und vielleicht
auch erträglicher sein. Etwas wie Angst oder Verzweiflung schwang mit in dem
Schwarm: Angst, das alles wieder zu verlieren, Erin, Megan, diese unverdiente
Nähe und Selbstverständlichkeit – Verzweiflung bei der Vorstellung, dass er für
immer oder für lange Zeit diesen Ort verließ, dass er die Chance verpasst haben
könnte, hier dazuzugehören. Er war froh, neben Ian zu sitzen und nicht allein
zu sein.
    Venedig kam ihm fern vor, irreal, wie eine Erinnerung, deren
Wirklichkeitsgehalt erst wieder überprüft werden musste, bevor man sie ins
eigene Bewusstsein zurückholen und eingliedern konnte. Vielleicht wäre sein
Haus dort ihm fremd geworden, das Gefühl, am richtigen Ort zu leben, hätte sich
verflüchtigt, vielleicht fände sich erst dann, wenn Erin käme und sich bei ihm
so heimisch fühlte wie er sich bei ihr, wieder alles am richtigen Platz. Falls
sie überhaupt käme.
    Für solche Grübeleien würde er noch genügend Zeit haben. Er
verscheuchte das Durcheinander in seinem Kopf, so gut es ihm möglich war, und
versuchte, sich auf die nächsten Tage zu konzentrieren, auf Dublin und Ians
Rückkehr in seinen Körper oder seine Seele, seinen Alltag, sein Leben.
    Michael fuhr brav die erlaubten hundertzwanzig Stundenkilometer, Ian
redete ihm nicht in seinen sicherlich unwürdigen Fahrstil hinein, sie
überließen sich beide ihrem Schweigen und ließen einander schweifen, wohin auch
immer die Gedanken sie führten.
    Michael war entschlossen, so lange bei Ian zu bleiben, bis der sagen
würde: »Let’s get drunk.«
    Dann würde Michael nicht ablehnen.

Epilog
    Bis Mitte August war er geblieben, hatte Ians blitzartige
Erschütterungsanfälle mit stoischer Ruhe durchgestanden, bis der letzte
vorübergegangen und Ians Schweigen und Vorsichhinstarren wieder langsam seiner
früheren wortkargen Herzlichkeit gewichen war.
    Erin und Megan hatte Michael in dieser Zeit nicht mehr getroffen,
sie waren im Studio und dann in den USA , um mit dem
Produzenten weiterzuarbeiten. Ian war einmal bei den Aufnahmen zu Besuch
gewesen, aber Michael hatte es abgelehnt mitzukommen. Er wollte Erin nicht
überfallen. Sie würde sich melden, wenn sie ihn sehen wollte.
    ~
    Ihr erstes Lebenszeichen war eine Mail an Ians Account,
aber mit Michaels Namen in der Betreffzeile, die ihn so niederschmetterte, dass
er sie, ohne zu antworten, löschte:
    Wir werden sehen, habe ich gesagt, und ich habe
auch gesagt, du seist mir vertraut, und ich habe sogar gesagt, es gehe nicht
mehr zurück zu deiner Schattenexistenz, aber jetzt, wo ich Abstand habe und
Zeit, um über all das nachzudenken, wird mir klar, dass ich einem Menschen
nicht vertrauen möchte, der sich mitten in meine Seele schleicht, ohne die
Verantwortung zu übernehmen. Ich habe gesagt, ich fände das feige, das tue ich
immer noch, und ich habe auch gesagt, ich sei dir nicht böse, das bin ich nun
doch wieder geworden. Wenn du dein Verhalten für das eines Ritters oder
Minnesängers hältst, dann träum weiter – ich halte es für das eines Spanners
(das Wort musste ich im Lexikon nachschlagen). Du hast in mein Innerstes
geschaut, ohne dich selbst hinter dem Schirm hervorzubewegen. Ich fühle mich
belogen und bestohlen. Natürlich ist das ungerecht, das weiß ich selbst, aber
Gefühle sind Gefühle – man hat sie, ob sie nun gerecht sind oder nicht –, ich
habe dieses Gefühl dir gegenüber, während ich unter Palmen bunte Flüssigkeiten
trinke. Du bist ein Gespenst in undurchsichtigem Nebel geworden, das mir
Gänsehaut macht. Tut mir leid, dich zu verletzen. Ich weiß, dass du mich nicht
verletzen wolltest, aber du hast es getan mit dieser unguten Mischung aus
viel-zu-nah und gar-nicht-da. Diese Mischung ist ein Gift. Schade, dass ich
nichts Netteres zu
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