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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Autoren: Thommie Bayer
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geduscht«, sagte sie, »und er meint, wir müssten nicht mehr
auf ihn aufpassen.«
    Â»Gute Nachricht«, sagte Michael.
    Eine Weile stand sie schweigend da. Michael wartete darauf, dass sie
etwas sagen würde, aber irgendwann hatte er das Gefühl, sie wartete auf ihn.
    Â»Glaubst du, wir könnten uns kennenlernen?«, fragte er und wunderte
sich selbst über den verschüchterten und unsicheren Ton in seiner Stimme. »Soll
ich nach Hause fahren?«
    Â»Das sind zwei Fragen auf einmal. Eine zu viel«, sagte sie, ohne
sich zu ihm umzudrehen.
    Â»Also dann erst mal Frage eins.«
    Â»Das müssen wir. Wir haben ja schon damit angefangen. Zurück zu
deiner Schattenexistenz geht es jetzt nicht mehr.«
    Â»Und so was wie die seltsame Vorstellung von Zerbrechlichkeit kommt
erst mal nicht zur Sprache.«
    Â»Let’s at least for now be friends.« Jetzt wandte sie sich um und
sah ihn an: »Die Antwort auf Frage zwei ist einfacher: Nein. Du könntest heute
Ians Auto beim Cottage holen, Megans Tochter fährt dich hin. Und dann könntest
du ihn morgen, wenn er will, nach Dublin fahren. Und mir wäre wohl, wenn du
dort noch ein paar Tage bei ihm bleiben würdest.«
    Â»Wenn er das will, ja.«
    Â»Ãœbertreibst du es nicht gerade ein wenig mit deinem Männerding?«
    Â»Was meinst du mit Männerding? Dass ich seine Entscheidung abwarten
und respektieren will?«
    Â»Genau das. Er will, dass du bleibst. Egal, was er sagt.«
    Â»Du übertreibst es ja vielleicht auch mit dem Frauending. Immer
besser wissen, was für andere gut ist. Besser als die selbst.«
    Sie lachte. »Ich seh schon, das wird unterhaltsam. Wir werden viel
zu besprechen haben.«
    Â»Ganz ohne seltsame Vorstellung
von Zerbrechlichkeit.«
    Â»Dir ist aber schon klar, dass du dich mit deiner Gespensterexistenz
nicht aus meinem Leben rausgehalten hast, oder?«
    Â»Nein, warum?«
    Â»Du hast dich hineingedrängt. Du warst immer existent. Nicht
greifbar, aber da. Ich konnte dich nie etwas fragen, ich konnte dir nie etwas
sagen, ich konnte immer nur aus deinen Texten und meiner Phantasie eine Figur
machen, und diese Figur war immer ausgedacht, und sie war immer unwahr, und sie
war immer allen wirklichen Menschen überlegen.«
    Â»Bist du mir deswegen böse?«
    Â»Jetzt, da an dir auf einmal etwas Wahres ist, bin ich es nicht
mehr. Der Grund fällt weg. Ich bin wohl nicht nachtragend.«
    Â»Du findest es feige, oder?«
    Â»Ja.«
    Â»Vielleicht hätte ich alles ruiniert, wenn ich dich belästigt
hätte.«
    Â»Wieso belästigt? Du hättest mir ein Angebot gemacht, na und? Was
hätte Schlimmeres passieren können, als dass ich es ausschlage? Oder annehme, und
dann wird nichts draus? Im schlimmsten Fall wären wir eben kein Paar geworden,
oder wir wären kein Paar geblieben, wir wären Freunde. Und das schon seit mehr
als zwanzig Jahren. Was wäre daran schlimm?«
    Michael wusste nichts zu antworten. Sie hatte recht. Aber
andererseits auch wieder nicht. Vielleicht war es ja feige gewesen, wie sie
sagte, aber vielleicht hätte auch Mut alles zerstört, was jetzt entstanden war:
die Vertrautheit, das Zusammengehören jenseits allen Alltags und jenseits aller
Streitereien unter wirklich anwesenden Menschen – so, als Versprechen oder
Ideal, als pure Fiktion, waren sie einander immerhin über zwanzig Jahre lang
treu gewesen und hatten viel erreicht.
    Das musste nicht jetzt geklärt werden. Vielleicht musste es nie
geklärt werden. Vielleicht musste er nur lernen, der jetzt realen Erin kein
ideales Verhalten abzuverlangen und ihr trotzdem nicht den Nimbus abzusprechen,
der sie als unerreichbares Wesen umgeben hatte.
    Â»Wir werden wohl noch öfter darüber reden«, sagte sie.
    Â»Vielleicht verstehst du mich ja irgendwann«, sagte er.
    Â»Verstehen tu ich dich jetzt schon. Das Verzeihen wird eine Weile
brauchen.«
    Michael schwieg. Wieder biss er nicht in den Toast, weil er fand,
das Geräusch würde jetzt nicht passen.
    Â»Ich löse Megan ab«, sagte Erin und ging.
    ~
    Megans Tochter war rothaarig. Endlich mal eine Irin, die
dem Klischee entspricht, dachte Michael, als er sie aus ihrem kleinen Nissan
steigen und zum Haus herkommen sah. Sie hatte sich mit einer Hupsequenz
angekündigt, deshalb standen er und Megan in der Tür und sahen ihr entgegen.
    Mutter und Tochter umarmten sich und tauschten
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