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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Autoren: Thommie Bayer
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Laib und
legte sie in einen Korb. »Wie viele Worte hat Anna gesagt?«, fragte sie.
    Â»So achtzehn, zwanzig könnten es schon gewesen sein«, sagte Michael,
»insgesamt.«
    Megan lachte. Erin sagte: »Sie ist der schweigsamste Teenager, den
ich je gesehen habe. Zu viele Clint-Eastwood-Filme vielleicht.«
    Â»Von mir hat sie das nicht«, sagte Megan.
    Â»Den Fahrstil aber schon«, sagte Michael.
    Er brachte das Tablett mit Eintopf und Brot ins große Zimmer, wo Ian
jetzt auf dem Sofa saß und in einem Buch über Veronese blätterte. »Danke«,
sagte er, ohne aufzuschauen, als Michael das Tablett auf dem Tisch abstellte,
»fährst du mich morgen nach Hause?«
    Â»Gern«, sagte Michael, »kann ich ein paar Tage bei dir bleiben?«
    Â»So lang du willst.«
    Wenn Erin das gehört hätte, dachte Michael, dann käme jetzt gleich
wieder eine spöttische Bemerkung über das »Männerding«. Er ging zurück in die
Küche.
    Â»Wisst ihr, ob Ian die Beerdigung organisieren muss?«, fragte er.
    Â»Nein«, sagte Erin, »er darf sich dort nicht mal sehen lassen. Die
Eltern machen das. In Maynooth. Der Vater ist dort Professor. Die wissen nicht,
dass ihr Sohn schwul war. Das durften die nicht wissen, Maynooth ist
ultrareligiös, der Vater wäre erledigt gewesen. Die Polizei sagt, der Leichnam
sei schon übergeben worden, die Ermittlung ist abgeschlossen. Es war eindeutig
Selbstmord.«
    Â»Habt ihr eine Ahnung, wieso er das getan hat?«
    Erin schüttelte den Kopf, Megan sagte: »Das weiß niemand. Er war der
fröhlichste Mensch von allen.«
    Â»Glaubt ihr, Ian weiß es?«
    Â»Ich glaube nicht, nein«, sagte Erin, »und ich würde ihn auch
einstweilen nicht danach fragen.«
    ~
    Megan war nach Hause gefahren, Erin saß mit Ian vor dem
Fernseher, und Michael ging den Strand entlang und dachte an Venedig – heute
war der Tag, an dem Bernd und Wagner abreisen wollten –, er folgte einem Impuls
und rief Thomas’ Handynummer an. »Geht alles mit rechten Dingen zu?«, fragte
er, als er dessen zum Glück nicht betrunken klingende Stimme hörte.
    Â»Ja«, sagte der, »dein Haus steht noch, mit der Katze bin ich schon
für morgen verabredet, der Tenor und der Bariton sind wieder zu Hause
beziehungsweise auf dem Weg. Wagner sitzt im Nachtzug.«
    Â»Und wie war’s noch?«
    Â»Fad. Skat bis zur Verblödung.«
    Â»Und weiß Serafina, dass ich weg bin?«
    Â»Du meinst wegen der alten Dame, die ihr versorgt? Ja, sie weiß es
und vertritt dich würdig. Sie hat ihre Übersetzung geschafft und kann wieder
aus den Augen gucken.«
    Â»Und du? Fühlst du dich wohl?«
    Â»Sehr sogar. Wenn du mich hin und wieder in Zukunft als Besuch
ertragen könntest, wäre ich dir außerordentlich zu Dank verpflichtet.«
    Â»Du bist willkommen. Ehrlich. Komm, sooft du magst.«
    Â»Wie geht’s deinem Freund?«
    Â»Er fängt sich. Seine große Liebe hat sich umgebracht. Er war wie
ausgeschaltet. Jetzt kommt er langsam wieder zu sich.«
    Â»Scheiße. Das ist grauenhaft. Tut mir leid.«
    Â»Ja.«
    Â»Und du? Wann kommst du wieder zurück? Weißt du das schon?«
    Â»Nein, noch nicht. Ich fahr morgen mit ihm nach Dublin und bleib
dort noch eine Weile. Bis ich glaube, dass er wieder ganz okay ist. Oder bis er
mich rausschmeißt. Kann also gut noch eine Woche dauern. Keine Ahnung.«
    Â»Ich fahr Montag oder Dienstag zurück«, sagte Thomas, »dann sehen
wir uns eher nicht mehr.«
    Â»Eher nicht, nein.«
    Â»Danke schon mal.«
    Â»Wofür denn?«
    Â»Gastfreundschaft, Freundschaft, Geduld, was weiß ich. Dein schönes
Zuhause, die Erholung, das ganze Paket.«
    Â»Grüß die Katze. Und natürlich Serafina.«
    Â»Mach ich. Ciao.«
    Nachdem er aufgelegt hatte, kam Michael eine Zeile zugeflogen und
nistete sich ein: In bright frozen moments when things come
undone, I see where I failed and I see what I’ve won . Mehr war es nicht,
aber diese Worte liefen rund zu einer Walzermelodie, und er notierte sie
schließlich im Handy, bevor er die weiße Villa wieder betrat.
    ~
    Erin küsste ihn zum Abschied auf beide Wangen, sie
lächelte und sagte: »Wir werden sehen.«
    Michael wusste nichts zu sagen, er umarmte sie, so fest es möglich
war, ohne sie an sich zu pressen, stieg ins Auto, in dem Ian schon saß,
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