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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Autoren: Thommie Bayer
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schreiben habe. Alles Gute, Erin.
    Michael saß vor Ians riesigem Bildschirm, bis der in den Sparmodus
wechselte, dunkel wurde und Michaels Gesicht spiegelte. Dieses Gesicht war
blass, und es war das Gesicht eines Spanners.
    ~
    Erst drei Tage später hatte Michael seinen eigenen
Gefühlswirrwarr so weit sortiert, dass er den Zorn auf Erins selbstgerechte
Larmoyanz als das Wichtigste und Vordringlichste erkannte. Er wusste nicht, ob
sie noch in Los Angeles war oder schon wieder in Rosslare, also holte er die
Mail aus Amerika mit dem Absender eines Studios oder Hotels (er hatte nicht
darauf geachtet) nicht wieder aus dem Papierkorb, sondern schrieb an ihre
normale Adresse. Irgendwann würde sie das lesen. Seine Antwort war kurz, er
hoffte, die Wut würde ihm nicht den Ton verrenken, aber falls doch, dann sollte
sie eben damit leben:
    Liebe Erin, ich konnte nie in dein Innerstes
schauen, alles, was ich konnte, war, dir mein Innerstes anzubieten. Du hast
dieses Angebot angenommen. Ich halte es weiterhin aufrecht. Du sagtest, du
hättest mein Inkognito akzeptiert, wenn das mit Ian nicht geschehen wäre. Ich
akzeptiere deine Absage an mich als Person. Ich akzeptiere nicht, dass du den
Blick in meine Seele, den ich dir gewährt und damit anvertraut habe,
nachträglich zu etwas Miesem erklärst. Ich freue mich auf das neue Album, und
ich hoffe, es war nicht unser letztes. Dein Michael .
    Während der Tage, die er noch in Dublin war, hörte er nichts von
ihr.
    ~
    Das Schwanken und Vibrieren des Alilaguna-Bootes fühlte
sich gut und richtig an, und auch der Nebel, der die ganze Stadt einhüllte und
zum Rätsel machte, war ihm vertraut wie eine alte Wolldecke, die nicht schön
sein muss, weil sie wärmt. Sein Haus nahm ihn auf, als hätte er nur wenige
Stunden draußen verbracht, und weil es Samstag war, begrüßte ihn Minus in der
Halle und gab es Brot, Milch, etwas Käse und frisches Obst in der Küche. Und
einen Zettel von Serafina.
    Willkommen zu Hause. Minou hat an den Wochenenden
aufgepasst, Signora Fenelli und ich unter der Woche, dein Freund Thomas will
bald wieder zu Besuch kommen, und ansonsten ist alles wie immer.
    Das stimmte nicht. Oder es stimmte nur eingeschränkt. Michael war
nicht mehr derselbe. Die Wochen in Irland hatten ihn verändert. Eigentlich auch
schon die Tage zusammen mit den Nachtigallen, die seiner überstürzten Abreise
vorangegangen waren – er war nicht mehr allein. Auch wenn Erin sich mit Aplomb
wieder aus seinem Leben herausstrich, da war Thomas, da war Megan, da war Ian.
Und die Heimlichkeit war vorbei. Das verstohlene und immer nur vorläufige
Leben.
    Vor dem Zusammentreffen mit Serafina fürchtete er sich, denn ihm war
klar geworden, dass ihre Affäre nicht mehr weitergehen durfte. Auch wenn es
lächerlich sein mochte, sich aufzusparen für Erin, die ihn abgeschüttelt hatte,
wusste er, dass er die praktischen und freundlichen Turnübungen montags und
donnerstags nicht mehr absolvieren konnte.
    Deshalb war er sehr erleichtert, als Serafina ihm am Sonntagabend, gleich
nachdem ihr Mann gefahren war, gestand, dass Thomas und sie einander
nähergekommen seien und sie hoffe, ihn damit nicht zu verletzen und vor allem
nicht seine Freundschaft mit Thomas zu gefährden – es sei eben passiert und
habe sich weder falsch noch verlogen angefühlt, sie habe zwar jetzt ein
schlechtes Gewissen, aber auch darauf spekuliert, dass er ihr verzeihe,
schließlich habe sie ihn ja gewarnt, Liebe sei nur hinderlich.
    Â»Wenn du mir nicht als Freundin verlorengehst«, sagte er, »dann ist
nichts daran falsch.«
    Sie fiel ihm um den Hals und weinte ein bisschen, und als er
hinzufügte: »Thomas ist der Einzige, dem ich dich gönne«, weinte sie noch ein
bisschen mehr.
    Er schämte sich, weil er sich selbst so heuchlerisch als großzügig
darstellte und Serafina im Glauben ließ, sie habe diese Großzügigkeit in
Anspruch genommen, aber dem Impuls, ihr reinen Wein einzuschenken, gab er nicht
nach. Er überredete sich selbst, das nicht als Feigheit oder Lüge anzusehen,
sondern als Rücksichtnahme auf sie – schließlich musste es für ihr
Selbstwertgefühl besser sein, die Affäre zu beenden, anstatt von ihm auf einmal
verschmäht zu werden.
    ~
    Ian kam Ende des Monats für ein paar Tage, und er war wie
immer. Er sprach nicht von Rahul, aber dafür umso mehr von Erin und Megan,
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