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Hinterhalt am Schwarzen Fels

Hinterhalt am Schwarzen Fels

Titel: Hinterhalt am Schwarzen Fels
Autoren: Stefan Wolf
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1. Vierte
Tür links
     
    Eitelkeit war seine größte
Schwäche. Insgeheim ärgerte es Westor, dass niemand ihm ansah, was für ein
Kaliber er war: einer der meistgesuchten Verbrecher, steckbrieflich gesucht in
zwölf europäischen Ländern.
    Freddy Westor war äußerlich
Durchschnitt: mittelgroß, Anfang der mittleren Jahre, hager. Ein kaltes Gesicht
mit kalten Augen. Seine ständige Miene — ein Ausdruck wachsamer Geringschätzung
— schien wie eingefroren. Keiner seiner Leute konnte sich an ein Lächeln
erinnern, ein Lächeln auf Westors Gesicht.
    Jetzt stand er an der
holzverschalten Wand des Kellerraums, hielt den großen Papierbogen dagegen und
drückte Reißzwecken in die vier Ecken. Dann trat er zur Seite und wandte sich
an seine Leute.
    Sie saßen auf umgestülpten
Obstkisten. Galeb und Leutke hatten sich auf den Boden gehockt — Leutke
schwerfällig wegen seiner ständig schmerzenden Knie, Galeb war geschmeidig in
den Schneidersitz gesunken. Er, Galeb, betrieb Kickboxen und konnte sich — wie
er behauptete — mit der linken Fußspitze aufs rechte Ohrläppchen treten. Dort
trug er einen goldenen Ring, am anderen Ohr einen silbernen.
    Acht Augenpaare starrten auf
die vierfarbige Skizze, einen Lageplan mit Gebäuden, Grünflächen, Wegen, Höfen,
einem Sportplatz und der Mauer, die das Gelände umfriedete. Während Westor
erklärte, sah er meistens seine Leute an und nicht auf die Skizze, benutzte
aber eine lederne Reitgerte als Zeigestock. Sozusagen blind wies er auf das
jeweilige Objekt, das er nannte.
    »Das ist also das Gelände der
berühmten Internatsschule. Liegt südlich der Stadt in grüner Landschaft, zehn
Autominuten ab Stadtgrenze. Nur eine Zubringerstraße führt hin. Zwischen Stadt
und Schule sind Wiesen und Felder. Wenig Verkehr auf der Strecke, obwohl’s dort
auch Wege gibt zum Wandern und Joggen. Dazu Fragen?«
    Niemand rührte sich.
    »Morgen früh schlagen wir los.«
Westor streckte die Reitgerte aus, ohne hinzusehen. Ihre Spitze tippte auf ein
längliches Gebäude. »Hier, das Haupthaus. Im Parterre ein langer Flur. Rechts
und links Klassenräume. Die vierte Tür links — das ist die 9b.«
    »Müsste eigentlich dranstehen
an der Tür«, sagte Leutke. »Oder ist das heutzutage nicht mehr üblich?«
    »Keine Ahnung.« Westor hob die
Schultern. »Aber ich denke mal — ja. Jedenfalls — unsere Infos sind
zuverlässig. Vierte Tür links. Und die Schüler der 9b werden genau in diesem
Raum sein und nicht beim Sport, im Physiksaal, im Musikzimmer oder sonst wo. Es
ist die dritte Stunde. Es ist Montag. Da sind alle noch verpennt,
einschließlich der Pauker.«
    »Um ganz sicherzugehen«,
meldete sich Galeb zu Wort, »fragen wir nach den Namen. Natürlich nebenher,
unauffällig.«
    »Wird nicht nötig sein.« Westor
zog einen Briefumschlag aus der Brusttasche. »Ich habe Fotos gekriegt.
Natürlich nur von den beiden, um die es uns geht. Es sind nicht gerade
künstlerische Porträts, aber man kann die Gesichter erkennen.«
    Er genoss das Erstaunen. Ja,
seine Leute bewunderten ihn. Wann auch immer, wo auch immer — er konnte
zaubern, hatte jedes Mal eine Trumpfkarte im Ärmel: den Schlüssel zum Erfolg.
    Es waren fünf Fotos. Drei von
dem Mädchen, zwei von dem Jungen. Schnappschüsse, zum Teil verwackelt, aus der
Hüfte geschossen — aber es würde reichen, um die beiden zu erkennen und aus der
Schar ihrer Mitschüler herauszupicken.
    Westor heftete auch die Fotos
an die Holzwand. Die andern erhoben sich, traten näher und glotzten.
    »Ich wollte nie Kinder haben«,
meinte Galeb, »am wenigsten einen Sohn. Und wenn ich mir den hier ansehe, kann
ich das nur wiederholen. Dem hängt die Blasiertheit in den Mundwinkeln.
Hochnäsig wie ‘ne Giraffe mit Stockschnupfen. Aber das wird ihm vergehen, wenn
wir ihn in der Mangel haben.«
    »Er bleibt unversehrt«, sagte
Westor. »Dieses Söhnchen ist unbezahlbar. Und in der Größenordnung lassen wir
ihn uns bezahlen.«
    »Das Mädchen sieht nett aus«,
stellte Gruber fest. Er war körperlich der Kleinste in der neunköpfigen Gruppe
Schwerkrimineller — maß nur 161 cm, wog aber 80 Kilo, ohne übermäßigen
Fettanteil: ein klotziges, vierschrötiges Paket aus Bodybuilder-Muskeln. Im
Gegensatz zur bulligen Erscheinung stand seine Stimme. Sie fistelte in
weiblicher Tonhöhe und Fremde am Telefon hatten ihn oft mit »Frau Gruber«
angeredet. Seitdem trank er Whisky und rauchte starke Zigarren — in der
Hoffnung auf rau-kratzige Stimmbänder. Doch
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