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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Autoren: Thommie Bayer
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jeder sein Programm ab und versuchte so wenig
wie möglich anwesend zu sein.
    Dabei wurden sie von den anderen Gästen als etwas Besonderes
angesehen. Immer wieder bemerkte Michael Blicke, die auf ihnen ruhten, seit sie
am selben Tisch saßen – sie waren wieder ein bisschen berühmt. Das Lied hatte
etwas angerührt in den Gästen, den Abschied zu einem wirklichen Abschied
gemacht, die Trauer für einen kurzen Moment aufscheinen lassen, die man sonst
von sich weggehalten oder abgestreift hätte, weil das Leben weiterging und die
Toten, sosehr man sie auch verehrt haben mochte, nicht mehr zählten.
    Â»Meine Mutter hat euch so vergöttert, dass ich manchmal richtig
eifersüchtig war«, sagte Angela jetzt zu ihm. Vielleicht wollte sie sich vom
Anblick ihrer strahlenden Tochter mit diesem knochigen älteren Mann ablenken.
Die beiden hatten jetzt einen gurrenden, halblauten Ton in den Stimmen und
waren wie in einer eigenen Umlaufbahn von ihrer Umgebung abgekoppelt. Daran,
dass sie miteinander im Bett landen würden, war wohl nichts mehr zu ändern. Da
störte weder der Abdruck eines Eherings an Bernds Finger noch die Tatsache,
dass Sarah, die Tochter, einen Freund hatte, der für sie kochte, ihre Arbeiten
schrieb und in Regensburg auf sie wartete.
    Michael, der mittlerweile entschlossen war, bald aufzubrechen, kam
nicht mehr zu einer Antwort, denn jetzt fuhr ein Wagen vor, ein weißer Audi mit
Münchner Nummer, und aus diesem stieg Erin.
    Schwarzes Kostüm, schwarzes Haar, die blasse Haut der Iren, eine
Frau Ende dreißig mit der Haltung einer Aristokratin – aller Augen wandten sich
ihr zu, als sie aus dem Wagen gestiegen war und zum Gartentor hereinkam. Angela
und Michael standen auf und gingen ihr entgegen, die anderen sahen sich den
Auftritt nur an.
    Â»Erin, dass du gekommen bist«, sagte Angela, und die beiden Frauen
umarmten einander.
    Â»I’m so sorry«, sagte Erin, »das Flugzeug war ausgefallen und erst
nach einer Stunde ein anderes da.«
    Sie löste sich von Angela und sah Michael an. »Hi, Michael«, sagte
sie. Sie sprach seinen Namen englisch aus.
    Â»Hi, Erin«, sagte er und küsste sie auf beide Wangen. »Das ist
schön, dich zu sehen.«
    Â»Auch mit einem traurigen Grund«, sagte sie und lächelte zuerst ihn
an, dann in die Runde der Gäste, die sich jetzt wieder pro forma miteinander
unterhielten, um nicht unhöflich zu wirken. Einige nickten ihr zu, manche
lächelten. Michael, der sonst fast immer wusste, was die Menschen dachten, war
sich diesmal nicht sicher, ob ihnen klar war, wen sie da vor sich hatten, ob
sie begriffen, dass Erin ein Star war, oder ob sie nur von der Ausstrahlung und
Selbstsicherheit dieser schönen Frau beeindruckt waren.
    Sie war sogar ein Weltstar. Allerdings in anderen Weltgegenden.
Jemand, der mit dem Autoradio hinreichend versorgt war und dessen musikalischer
Horizont sich von Phil Collins bis Tina Turner erstreckte, würde nichts mit
ihrem Namen anzufangen wissen.
    Wagner und Thomas kannten sie. Sie sahen gebannt und ein bisschen
verdutzt zu ihnen her – Wagner rückte sogar zur Seite, in der Hoffnung, Michael
möge sich mit seiner illustren Begleitung wieder zu ihnen setzen.
    Aber sie wollte zu Emmis Grab. Michael bot an, ihr den Weg zu
zeigen. Sie stiegen in den Audi, der ohnehin so mitten auf der Straße nicht
stehen bleiben konnte, und fuhren zum Friedhof. Aus dem Augenwinkel sah er
noch, wie Wagner und Thomas die Köpfe zusammensteckten und Bernd sich ihnen
zuwandte und seine bis eben noch angehimmelte Sarah links liegen ließ.
    ~
    Das Grab war bedeckt mit einem Berg von Blumen und
Kränzen. Sie gingen schweigend darauf zu, wie sie auch schweigend
hierhergefahren waren, und Michael sagte wenige Meter davor: »Ich lass dich
alleine, ja?«
    Erin hob ihren Arm, ohne Michael anzusehen, und berührte ihn an der
Schulter. Er ging zum Parkplatz zurück, um dort auf sie zu warten.
    Aber er war noch nicht wieder ganz an der Kapelle vorbei, als er sie
singen hörte. Dasselbe Lied. The parting glass . Er
blieb stehen.
    Noch aus dieser Entfernung, vielleicht dreißig oder vierzig Meter,
klang ihre Stimme so verletzlich wie strahlend, und die verspielten irischen
Schlenker ließen das Lied natürlich und kunstvoll zugleich wirken wie den
Gesang eines sehr besonderen Vogels.
    Michael ging leise den Weg wieder zurück, vorsichtig auf dem
Grasrand
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