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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Autoren: Thommie Bayer
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dem
anti-glamourösen Anspruch der Folkies hatte das wenig gemein. Anfangs, als sie
noch eine Schülerband waren, gab es auch getragene Melodien und ernste Teile in
ihrem Programm – irische Volkslieder, die Emmi so sehr liebte, Schubertlieder,
Bach –, sie sangen bei Hochzeiten oder Weihnachtsfeiern ebenso wie auf
Schulfesten, in Kneipen oder auf Empfängen, aber später, als sie eine
Studentenband geworden waren, hatte ihr Programm sich verändert. Es war zum
Amüsement auf Partys, Unibällen und Stadtfesten gedacht. Berührungspunkte gab
es eigentlich nur mit den Kabarettisten und den damals so genannten Blödelbarden
wie Ulrich Roski oder Fredl Fesl.
    Als Emmi und ihr Schützling sich an den von Michael frei gehaltenen
Tisch setzten, spielte gerade John Vaughan, ein blonder Amerikaner, der sich
aufs Witzeerzählen verstand und die vielleicht dreißig Gäste nach und nach für
sich gewonnen hatte. Emmi versuchte, sich ihre Aufregung nicht anmerken zu
lassen, und Michael verstand auch gleich, weshalb. Erin, der Schützling, war
weiß im Gesicht, atmete flach und sah mit fast irrem Blick um sich – sie war
kurz vor dem Kollaps vor lauter Lampenfieber.
    Michael kannte das Gefühl, er wusste, dass einem in diesem Zustand
nur noch Flucht einleuchtete. Er ging zur Theke und holte zwei Whisky und einen
Weißwein. Den Weißwein gab er Emmi, die ihn lächelnd nahm, und den Whisky schob
er Erin hin, die ihn zuerst verständnislos anstarrte, dann aber ergriff und einen
Schluck probierte.
    Â»Cheers«, sagte Michael. »Vergiss die Leute. Sing nur für Emmi und
mich.«
    Sie sah ihn zweifelnd an, fast blöde, als habe sie seine Worte nicht
verstanden, dabei wusste er, dass sie Deutsch konnte, denn sie hatten einander
begrüßt und einige Worte flüsternd gewechselt.
    Â»Es geht«, sagte er und hob sein Glas erneut. »Es geht immer.«
    Er hatte recht. Endlich war sie dran und ging zur Bühne – es war
eher ein Torkeln als ein Gehen –, und sie verwandelte sich in dem Augenblick,
als sie das Mikrofon zu sich heruntergezogen, die Stimmung der Gitarre
überprüft und zur Begrüßung die Worte gehaucht hatte: »Stagefright is my second
name. The first one is Erin.« Sie fing an zu singen, und ihr bis eben noch
flackernder Blick war auf einmal ruhig. Die Gäste wurden es ebenfalls – das
Klappern und Plappern und Klirren verebbte, und alle lauschten dem schon damals
sehr abgestandenen Folksong The last thing on my mind ,
als wäre er eine Offenbarung.
    Sie spielte gut Gitarre, sang sicher und mit der für die Folkmusik
typischen Bescheidenheit, schien in sich gekehrt und war doch gleichzeitig so
expressiv und einnehmend, dass sie mit den ersten Zeilen schon die Zuhörer fing
und vor dem zweiten Refrain nur ein schüchternes Kopfnicken und Lächeln
brauchte, um fast alle, die da saßen, zum Chor zu machen, der kräftig und mit
Hingabe sang: Are you going away with no word of farewell,
will there be not a trace left behind – I could have loved you better, didn’t
mean to be unkind – you know that was the last thing on my mind.
    Emmi strahlte. Michael wusste, was sie vorhatte. Sie wollte ihn und
Erin irgendwie zusammenbringen, ob als Liebespaar oder als Künstlerduo – sie
hoffte, ihn bei der Musik zu halten durch diese Talentinfusion, sie hatte den Glauben
an ihn nicht aufgegeben.
    Nach einer halben Stunde ging Erin von der Bühne. Sie hatte drei
Zugaben geben müssen und glitt auf einer Woge aus Sympathie und Begeisterung zu
ihrem Tisch zurück, wo sie den Rest des Whiskys wie Limonade kippte und für den
Rest des Abends nicht mehr ansprechbar war. Zwar unterhielt man sich noch eine
Weile, zuerst im Lokal, dann draußen auf dem Weg zu Emmis Opel Kadett, aber
Erin war über den Wolken, sie flog weit über Emmi und Michael, deren Lob zwar
ihre Sphäre erreichte, aber Erin nahm es nur noch auf, wie ein Alkoholiker im
Vollrausch noch schmeckt, was er einfach weitertrinkt, obwohl es sein
Wohlgefühl nicht mehr steigert – sie sammelte Michaels und Emmis Komplimente
ein wie Krümel, etwas, das man eben auch noch mitnimmt. Das Wichtige war von diesen
fremden Leuten gekommen, was Emmi und Michael dazutun konnten, war nicht mehr
von Bedeutung.
    Emmi schien ein wenig verletzt deswegen, aber Michael wusste, was
Erin empfand, und nahm es ihr nicht übel. Das unterscheidet
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