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Die heimliche Gemahlin

Titel: Die heimliche Gemahlin
Autoren: Deborah Martin
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1. KAPITEL
    London, Oktober 1815
    Eine wohlerzogene junge Dame wird stets alles vermeiden, was auch nur den Hauch eines Skandals auslösen könnte.
    Kein Wunder, dass Helena ausgerechnet dieser Lehrsatz plötzlich einfiel, als sie sich vorsichtig im verlassen daliegenden Korridor des Gästehauses St. Giles umsah. Sie war nämlich gerade dabei, dieses eherne Gesetz rücksichtslos zu brechen.
    Ihre Schwester Rosalind hatte nie viel auf Mrs. Nunleys Etiketteführer für junge Damen gegeben, nach dessen Grundsätzen die Mutter die Kinder erzogen hatte. Wenn es gerade nicht passte, schlug Rosalind sämtliche Benimmregeln leichten Herzens in den Wind.
    Ausnahmsweise musste Helena einmal zugeben, dass ihre Schwester mit diesem Grundsatz gar nicht so falsch lag: Angesichts des Abenteuers, in das sich ihre jüngere Schwester Juliet so gedankenlos gestürzt hatte, blieb gar nichts anderes übrig, als die Gesetze der Etikette vorübergehend zu vergessen. Spätestens als sie selbst diese zwielichtige Pension betreten hatte, in der Ratten über die Flure huschten, war es mit dem angemessenen Betragen ohnehin vorbei gewesen.
    Eine wohlerzogene junge Dame geht nie ohne Begleitung auf längere Reisen. Ja, schon als sie allein von Warwickshire nach London aufbrach, hatte sie sich nicht an die erste goldene Verhaltensregel gehalten. Aber die frisch vermählte Rosalind und ihr Gemahl Griffith Knighton verbrachten gerade die Hochzeitsreise auf dem Kontinent, und Papa war außer Stande, das Bett zu verlassen. Dennoch musste bei dieser hässlichen Angelegenheit jemand einschreiten!
    Eine wohlerzogene junge Dame wird niemals ohne die Begleitung einer Dienerin aus dem Hause gehen. Einfach lächerlich! Wenn das Personal nichts von ihrem Vorhaben erfuhr, umso besser! Dienstboten besaßen einen unerfreulichen Hang zu Klatsch und Tratsch.
    Unsicher umfasste sie den Griff des Gehstocks fester, als sie endlich vor der zerkratzten Eichentür stand, die ins Zimmer von Mr. Daniel Brennan führte - dem unverheirateten Privatsekretär ihres Schwagers. Nun war es also an der Zeit, Mrs. Nunleys wichtigste Regel zu brechen: Eine wohlerzogene junge Dame besucht einen Gentleman niemals ohne Anstandsdame.
    Ob dieser Verstoß noch schwerer wog, wenn er im Morgengrauen geschah? Immerhin hatte die Wirtin es rundweg abgelehnt, Mr. Brennan um diese Uhrzeit zu wecken. Die gute Frau fürchtete seinen Zorn.
    Helena erinnerte sich mit Schaudern daran, wie sie selbst ihn einmal in Rage versetzt hatte, als er und Griffith im letzten Sommer zu Gast bei ihnen auf Swan Park gewesen waren. Nicht, dass Brennan auch nur den geringsten Grund gehabt hätte, derart aufzubrausen. Insbesondere, da schließlich er es gewesen war, der sich ins Unrecht gesetzt hatte. Er hatte sich damals von Griffith dafür bezahlen lassen, den Swan-Schwestern zum Schein den Hof zu machen! Wahrscheinlich hatte Brennan sich hinter ihrem Rücken über sie totgelacht, weil sie ihm die Schmeicheleien und Komplimente geglaubt hatten ...
    Nein, daran durfte sie jetzt nicht denken. Sie musste Juliet retten. Das allein zählte in diesem Augenblick. Deshalb galt es nun, den eigenen Stolz zu vergessen, allen Mut zusammenzunehmen und Mr. Brennan aus dem Schlaf zu schrecken. Sie hatte keine Zeit zu verlieren, denn nachdem sie die steile Treppe hinaufgestiegen war, schmerzte ihr Bein. Nichts wäre peinlicher, als wenn es vor seinen Augen nachgeben würde! Entschlossen klopfte sie laut an.
    Zunächst regte sich nichts. Lieber Himmel, was, wenn sie nun vorm falschen Zimmer stand? Warum bloß hatte er sich in dieser heruntergekommenen Kaschemme einquartiert? Er konnte sich wahrlich ein weit luxuriöseres Leben leisten. Aber Griffiths Kutscher war vollkommen sicher gewesen, dass Brennan hier wohnte.
    Sie klopfte wieder, diesmal noch lauter. Nichts. Ob er sich schlicht weigerte zu öffnen? Voller Angst schlug sie nun immer wieder mit dem silbernen Stockknauf gegen die Tür. Der Lärm hätte Tote aufwecken können.
    Endlich hörte sie die tiefe Stimme eines Mannes: „Der Teufel soll Sie holen!“ Wenn es nicht um Juliet gegangen wäre, Helena hätte die Flucht ergriffen. Stattdessen nahm sie sich zusammen und harrte der Dinge, die da kommen würden.
    Nichts und niemand hätte sie auf den Anblick vorzubereiten vermocht, der sich ihr dann bot. Nur mit einer Unterhose bekleidet, stand plötzlich der muskulöse Riese Brennan im Türrahmen.
    Sprachlos betrachtete sie ihn, unfähig, die Augen abzuwenden. Im Gegensatz zu
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